Kreislauffähige Konstruktionsweise verspricht Potential für eine Marktwertsteigerung von nahezu 10%

Die Baubranche verantwortet jährlich über 80% des gesamten Abfallaufkommens in der Schweiz. Um dieses Problem anzugehen, kommen vermehrt zirkuläre Konstruktionsprinzipien zur Anwendung. Kreislauffähiges Bauen sei jedoch oft teurer, so ein Gegenargument. Welchen Einfluss haben zirkuläre Prinzipien auf die Immobilienbewertung tatsächlich?

Die Baubranche verantwortet jährlich über 80% des gesamten Abfallaufkommens in der Schweiz. Um dieses Problem anzugehen, kommen vermehrt zirkuläre Konstruktionsprinzipien zur Anwendung. Ein häufiges Gegenargument zur Umsetzung der Kreislaufwirtschaft ist, dass zirkuläre Gebäude teurer sind als herkömmlich erstellte Bauten. Ist das so und welchen Einfluss haben zirkuläre Prinzipien tatsächlich auf die Immobilienbewertung? Dazu hat Madeleine Kindermann in ihrer Masterarbeit im Studiengang Master of Advanced Studies in Real Estate an der Universität Zürich das monetäre Potenzial der Kreislaufwirtschaft für den Bausektor untersucht.

Für die Analyse hat Kindermann ein standardisiertes Musterobjekt konstruiert, welches es erlaubt, mehrere Konstruktionsprinzipien neutral gegenüberzustellen. Eine Wohnliegenschaft, die als Renditeobjekt an zentraler Lage in urbanem Gebiet in der Schweiz errichtet wird, wurde aus zwei Gründen ausgewählt. Einerseits weist der Renditesektor eine hohe Kostensensibilität auf, andererseits bietet die Wohnnutzung mit 51% der jährlichen Bauinvestitionen der Schweiz eine der grössten Plattformen für die Optimierung durch den Kreislaufwirtschafts-Ansatz.

Kindermann vergleicht zwei Konstruktionsmethoden in ihrer Arbeit: Für die konventionell-lineare Konstruktion wurde ein Vorgehen gewählt, das dem heutigen Stand der Technik entspricht. Bei der Massivbauweise aus Mauerwerk und Stahlbeton sind somit deren Materialschichten zu einem späteren Zeitpunkt nicht trennbar. Es kommt unter anderem ein Wärmedämm-Verbundsystem für die Verknüpfung der Gebäudehülle und der Tragkonstruktion zur Anwendung.

Für das kreislauffähige Musterobjekt wurde eine Holzhybrid-Bauweise gewählt, deren Bauteile mehrheitlich vorfabriziert und modular konstruiert sind. Die Hauptgebäudegruppen der Sekundär- und Primarstruktur sind durch eine einfache Trennbarkeit gekennzeichnet; so kommt ein innenliegendes Stützenraster zur Anwendung welches die Gebäudehülle von der Lastenabtragung befreit. In Kombination mit einer Vielzahl von reversiblen Verbindungsmittel kann gewährleistet werden, dass die Gebäudeschichten leicht demontiert und sortenrein getrennt werden, wodurch die Kriterien für eine Wiederverwendbarkeit erfüllt werden. Die kreislauffähige Konstruktion basiert auf herkömmlichen, im Bauwesen standardisierten und etablierten Fertigungsprozessen.
Die Baumaterialien können bei der kreislauffähigen Konstruktion am Ende ihres Lebenszyklus wieder verwendet werden.  Sie können als Element und Rohstoff am Sekundärmarkt gehandelt werden oder als Produkt, durch vereinbarte Rücknahmemodelle wieder an den Hersteller gelangen. Durch den zukünftigen Wert der Baumaterialien fallen bei der kreislauffähigen Konstruktion deshalb nicht nur Kosten, sondern auch Erträge im Lebenszyklus an.

Basierend auf den erfassten Angaben zur Konstruktion der Bauteile wurden die Baukosten mittels Unterteilung des elementbasierten Baukostenplans eBKP ermittelt. Für die Kostenkennzahlen wurde sich unter anderem auf die Projektdatenbank von Drees & Sommers und den CRB-Standards für Bauwesen gestützt. Der finanzielle und zirkuläre Wert der Baumaterialien wurde mit Hilfe der Plattform Madaster in einem Materialpass ermittelt. Die gebäudespezifischen Erneuerungsstrategien wurden mit den Angaben des Materialpass definiert und die resultierenden Lebenszykluskosten über jährliche Rückstellungen in der Marktwertermittlung übertragen.

Haupttreiber: Differenzierung der Lebenszykluskosten

Dabei zeigte sich, dass die Marktwertermittlung der kreislauffähigen Holzhybrid-Konstruktion mit modularem Aufbau und reversiblen Verbindungsmitteln des Fassadensystems, trotz erhöhter (+13%) Erstellungskosten, das lineare Objekt um +9.6% übertraf. Ein Haupttreiber dafür ist die Differenzierung der Lebenszykluskosten. Diese setzen sich aus den Erträgen der Materialaktivierung, den Aufwendungen für Erneuerungen und den Rückbaukosten zusammen.

«Eine Valorisierung der Materialwerte über den Lebenszyklus kann zu klaren positiven Kapitalflüssen und einer Portfoliowertsteigerung führen.»

Madeleine Kindermann, Absolventin Master of Advanced Studies in Real Estate, Universität Zürich

Erträge der Materialaktivierung

Im Gegensatz zur kreislauffähigen Konstruktion erfolgte die Bewertung des konventionell-linearen Objekts ohne Berücksichtigung des Marktwerts der verbauten Bauteile und Materialien. Dieses entspricht dem heute angewendeten linearen Vorgehen, in welchem die Bauteile am Ende ihres Lebenszyklus nicht sortenrein getrennt werden können und nur vereinzelt für ein Downcycling aufgearbeitet werden. Gemäss Kindermann kann eine Valorisierung der Materialwerte über den Lebenszyklus zu klaren positiven Kapitalflüssen und einer Portfoliowertsteigerung führen. Durch die Berücksichtigung der Materialaktivierung können Erträge von +23% des Gebäudeneuwerts über den Lebenszyklus erzielt werden.

Aufwendung für Erneuerungen

Die Optimierung der Lebenszykluskosten und dementsprechend die Berücksichtigung der Austauschzyklen einzelner Bauteile trägt massgeblich zur Reduzierung der jährlichen Rückstellungen bei. Im Laufe des Lebenszyklus muss sowohl für das konventionell-lineare als auch für das kreislauffähige Objekt über das Doppelte der Neubaukosten für die Instandsetzung investiert werden. Massgebend für die Berechnung der jährlichen Rückstellungen sind nicht nur die Kosten, welche über den Lebenszyklus anfallen, sondern auch die prognostizierte Laufzeit der Lebenszyklen. Beim Kreislaufobjekt können die Anzahl der Hauptsanierungszyklen durch die überdurchschnittliche Nutzungsdauer der kreislauffähigen Gebäudehülle und des Innenausbaus um einen Drittel reduziert werden.

Zusammen mit den Erträgen der Materialaktivierung können so die jährlichen Kosten um 39% gesenkt werden. Der Wirkungsgrad der kreislauffähigen Konstruktion wird massgeblich durch die Laufzeit der Austauschzyklen und den Erstellungskosten bestimmt. Eine Kürzung der Nutzungsperiode um 5 Jahre führt zu einer Halbierung des Mehrwerts. Die Summe der Materialaktivierung beeinflusst den Mehrwert, jedoch reagiert der Marktwert mit einer Veränderungsrate von 0.33% deutlich weniger sensibel.

Potential einer Nachhaltigkeitszertifizierung

Der Fokus von Kindermann liegt auf den Auswirkungen der Konstruktionsprinzipien und dessen Einfluss auf die Lebenszyklus-Kosten und Erträge. Die Sensitivitätsanalyse zeigt jedoch grosses Potential für die Wertsteigerung durch eine qualitative Objektbewertung, zum Beispiel in Form einer Nachhaltigkeitszertifizierung. So kann bereits eine gesteigerte Zahlungsbereitschaft von 5% des Mietwerts für ein zirkulär-Zertifiziertes Objekt den Mehrwert verdoppeln. Ebenfalls zeigt Kindermann Beispiele auf, in den Liegenschaften mit einem Nachhaltigkeitszertifikat eine tiefere Risikobewertung aufweisen als nicht zertifizierte Liegenschaften.

Ausschlaggebend für den positiven Effekt der kreislauffähigen Konstruktion ist eine präzise Ermittlung der künftigen Instandsetzungskosten sowie die Optimierung der Austauschzyklen der Gebäudeschichten. Eine Akkumulierung der marktrelevanten Informationen durch Tools wie Madaster ermöglicht dies. Durch die Optimierung der Nutzungsphasen sowie eine Berücksichtigung der finanziellen Werte im Lebenszyklus ermöglicht das kreislauffähige Konstruktionsprinzip, die zukünftigen Aufwendungen zu reduzieren und dementsprechend den Marktwert zu steigern.

Dieser Beitrag basiert auf der Masterarbeit «Gebäude mit Materialpass – Einfluss der Kreislaufwirtschaft auf die Immobilienbewertung» von Madeleine Kindermann.

Interessiert an der kompletten Arbeit?

Sie können die Arbeit im Blogbeitrag unseres Partners Madaster herunterladen.

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