Paradigmenwechsel in der Immobilienprojektentwicklung

Die Wiederverwendung von Bauteilen ist wesentlich für eine zukunftsgerichtete Immobilienprojektentwicklung. Ein Gastbeitrag von Jasmin Winterer. 

Die Planungsprozesse bei Projekten, die sich zum Ziel gesetzt haben, mit bereits vorhandenen und in Benutzung gewesenen Bauteilen zu planen und bauen, unterscheiden sich gegenüber Neubauprozessen. Unabhängig davon, ob es sich beim Zielprojekt um einen Umbau oder Neubau handelt. Alle Beteiligten stehen dabei vor der Herausforderung, dafür bisher unbekannte Denk- und Herangehensweisen zu definieren und umsetzen zu müssen.   

Doch ist die Praxis der Wiederverwendung von Bauteilen nicht neu. Aus baukultureller Sicht wurden schon vor Jahrhunderten Materialien wiederverwendet. In der Archäologie werden Bauteile, die aus älteren Bauten stammen und in neuen Bauten wiederverwendet werden, Spolien genannt. Durch die Industrialisierung hat sich jedoch unser Massstab, die Prozesse und Normen verändert. Bis anhin herrschte die Haltung, dass alle Materialien jederzeit in jeder beliebigen Menge verfügbar sind. Doch das Ende dieses linearen Wirtschaftsmodells ist absehbar mit Blick auf die näher rückende Netto-Null-Deadline und die akut vorherrschenden Rohstoff- und Lieferengpässen.

Was bedeutet dies für den Prozess bei Immobilienprojektentwicklungen? Im Rahmen meiner Abschlussarbeit des MAS Real Estate (BFH) wurde der Fokus auf die frühen Planungsphasen gelegt und was es für diese bedeutet, wenn die Besteller:in die Verwendung von bestehenden Bauteilen für eine Projektentwicklung vorgibt. In der Arbeit wurden Neubau- und Umbauprojekte untersucht. Die Ergebnisse basieren auf Experteninterviews und Literaturrecherche. In der Arbeit wurden die Immobilienprojektentwicklungsphasen mit den SIA Phasen korrespondiert. Die Verständigungsnorm SIA 112 Modell Bauplanung bildet den Planungsprozess für Bauvorhaben in seiner logischen Gliederung ab und dient als Referenz für Bauvorhaben in der Schweiz.

«Die zirkuläre Bauherrschaft verfügt idealerweise über eigene Bauteilressourcen und dokumentiert all ihre Bauten mittels eines Bauteilkatalogs, damit die Bauteile für künftige Projekte zur Verfügung stehen können»

Jasmin Winterer, Portfoliomanagerin Entwicklung, Immobilien Basel-Stadt

Es findet eine Kostenverschiebung bei Re-Use-Projekten statt

Um die grössten Erfolge bei der Treibhausgasreduktion in der Gebäudeerstellung zu erzielen, ist es  zielführend, wenn dies von der Besteller:in vorgegeben wird. Das Commitment zur Kreislaufwirtschaft muss an dieser Stelle verankert sein, den letztendlich kann nur die Besteller:in entscheiden, was geplant, gebaut oder nicht gebaut wird.

Eines der Ergebnisse der Abschlussarbeit ist, dass die Gebäude, in denen wiederverwendete Bauteile verbaut werden, bisher nicht kostengünstiger als Bauten sind, die neue Materialien verwenden. Entweder lag eine Kostenneutralität oder erhöhte Gesamtkosten vor. Die Begründung hierfür ist, dass es spezifische Leistungen der Beteiligten braucht, die im konventionellen Prozess nicht vorgesehen sind. Dies führt zu einem Mehraufwand in der Planung.

Künftig sind jedoch Skaleneffekte denkbar, welche den heutigen Mehraufwand reduzieren könnten. Bei den Planungskosten findet eine Kostenverschiebung statt, da das Planungsteam viel früher viel tiefer ins Detail gehen muss. Wenn ein Bauteil gefunden wird, muss das Planungsteam prüfen, ob dieses verwendet werden kann. Diese Prüfung würde in dieser Tiefe normalerweise erst in der Ausführungsplanung erfolgen.

Die Planungskostenverschiebung fällt bereits in den frühen SIA Phasen (bis ca. Phase 32) an. Die Planungskosten sinken dafür in den darauffolgenden Phasen. Zudem fallen in den frühen SIA Phasen bereits Bauteilgewinnungskosten an, da die wiederzuverwendeten Bauteile vorab beschafft werden müssen. Diese Vorinvestition ist meist deutlich, jedoch nicht immer kostengünstiger als die Beschaffung konventioneller Bauteile. Nebst den genannten Faktoren spielt auch das Organisationsmodell eine grosse Rolle bezüglich der Kosten. Die zirkuläre Bauherrschaft verfügt gemäss Stricker et al. (2021) idealerweise über eigene Bauteilressourcen und dokumentiert all ihre Bauten mittels eines Bauteilkatalogs, damit die Bauteile für künftige Projekte zur Verfügung stehen können. Der/Die zirkuläre Bauherr:in fungiert somit selbst als Zulieferer:in der benötigten Bauteile für zukünftige Bauten.

Umkehr des Entwurfsprozesses und multilaterale Zusammenarbeit

Eine weitere Änderung betrifft den Entwurfsprozess und die Zusammenarbeit innerhalb der Projektorganisation. Bei einem konventionellen Projekt wird normalerweise mit einer Idee oder einem Konzept gestartet. Im Idealfall startet ein Re-Use Projekt mit dem Material, da dies den Rahmen für den kommenden Entwurf setzt. Diese Vorgaben können den Architekt:innen als Grundgerüst dienen, an dem sie ihren Entwurf orientieren können.

Weiter wurde in den Interviews genannt, dass es viel mehr Kommunikation und Austausch innerhalb der Projektorganisation bedarf. Ein multilateraler Austausch und ein multilaterales Zusammenarbeiten wird gefordert. Das gemeinsame, übergeordnete Ziel der Wiederverwendung muss von jedem Beteiligten als Paradigma verstanden werden.

Ein Auszug aus der MAS Arbeit steht hier zum Download bereit : Microsoft Word - 220214_D_Masterarbeit Jasmin Winterer_FINAL (bfh.ch). Die gesamte Arbeit können Sie über info@circularhub.ch anfragen.

Kontakt

Jasmin Winterer, Portfoliomanagerin Entwicklung, Immobilien Basel-Stadt, jasmin.winterer@bs.ch

Bildquelle: Danist Soh

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