Zirkularität im Bau braucht den Dialog zwischen Politik und Wirtschaft

Die Schweiz hat sich auf dem Weg zur Klimaneutralität im Jahr 2050 das Zwischenziel gesetzt, den Treibhausgasausstoss bis 2030 zu halbieren. Aktuell sind weltweit rund 70% der Treibhausgasemissionen auf die Handhabung und Verwendung von Materialien zurückzuführen - so der neueste Circularity Gap Report von Circle Economy. Dennoch werden auch heute, sieben Jahre nach Unterzeichnung des Pariser Abkommens, weltweit 70% mehr neue Rohstoffe entnommen, als auf der Erde nachwachsen können. Um das für 2030 angesetzte Zwischenziel zu erreichen, muss also auch die heutige Handhabung von Ressourcen dringend überdacht werden. Welche Rolle kommt dabei der Politik zu? 

Der Bundesrat hat im März 2022 den Bericht «Die Hürden gegen Ressourceneffizienz und Kreislaufwirtschaft abbauen» verabschiedet. Neben der Ernährungswirtschaft wurde der Fokus auf die Bau- und Immobilienwirtschaft gelegt, da hier die grössten Verbesserungspotentiale identifiziert wurden.  

Konkrete Potentiale sieht der Bundesrat in der energetischen Sanierung von bestehenden Gebäuden und eine vermehrte Verwendung von umweltfreundlichen, ressourcen- und energieeffizient hergestelltem Baumaterial. Bereits in frühen Planungsphasen sollte der Umwelt-Fussabdruck durch konsequente Berücksichtigung des gesamten Lebenszyklus optimiert werden. Durch nutzungsflexible Wohnlösungen und effizientere Nutzung von Wohnflächen sei der Wohnflächenbedarf reduzierbar.  

Zur Realisierung dieser Potentiale nennt der Bericht fünf Stossrichtungen: 

  • Modernisierung veralteter Normen, die eine effiziente Nutzung von Ressourcen verhindern. Die Weiterentwicklung von Normen und Merkblättern privater Normen-Organisationen (VSS, SIA) im Baubereich, die ausserhalb der Hoheit des Bundes liegen, werden begleitet und mit Expertise unterstützt.  
  • Der Vollzug bestehender Verwertungspflichten im Baubereich nach der Verordnung über die Vermeidung und Entsorgung von Abfällen (VVEA) wird in enger Zusammenarbeit mit den Kantonen angegangen.  
  • Die Bundesverwaltung will ihre Vorbildfunktion verstärkt wahrnehmen und vorhandene Spielräume bei der Beschaffung von ressourcenschonenden Baumaterialien nutzen.  
  • Damit Schweizer Bauproduktehersteller wettbewerbsfähig bleiben, ist die Beobachtung der Weiterentwicklung der EU-Bauproduktegesetzgebung im Hinblick auf den Harmonisierungsbedarf in der Schweiz wichtig. 
  • Der Bedarf der Bauwirtschaft im Bereich Aus- und Weiterbildung soll geklärt und notwendige Massnahmen gefördert werden. 

Diese Massnahmen können von der Bundesverwaltung, den Kantonen und der Wirtschaft sofort umsetzbar sein, da auf Bestehendem aufgesetzt werden kann. Insbesondere die Ankurbelung von zirkulärer Bautätigkeit durch Beschaffung - vor allem durch öffentliche Bauherren - bietet grosses Potential.  

Die Ergebnisse der Studie und Branchenbefragung, auf die sich der Bericht stützt und die als Folge des Noser-Postulats 18.3509 erstellt wurde, weisen jedoch auch auf einen grösseres Thema hin, das weiter im Raum steht. Erst wenn Kostenwahrheit, also die Internalisierung externer Faktoren wie der grauen Energie geschaffen ist, sei eine nachhaltige Transformation möglich.  

Ein ebenfalls mittelfristig wirksamer, aber mit höherem Durchschlag verbundener Effort wird auch die Teilrevision des Umweltschutz-Gesetzes sein, die mit der parlamentarischen Initiative  20.433 «Schweizer Kreislaufwirtschaft stärken» angestossen wurde und die in die Wintersession 2022 kommen soll. Hier werden verpflichtende Zertifikate über den Ressourcenverbrauch von Bauwerken – eine Art „Materialpass“ für Neubauten und grössere Renovationen – im Rahmen von Rückbaubewilligungen diskutiert. Auch über Mindestanforderungen für wiederverwendete Materialien verbunden mit finanziellen Anreizen sowie Grenzwerte bei der grauen Energie von Neubauten und Sanierungen - möglicherweise unter Miteinberechnung von grauen Treibhausgasemissionen - wird gesprochen.  

Das Schweizer Bauwesen braucht dringend schlanke, kohärente Regulierungen auf Bundes-, Kantonal und Gemeindeebene. Bis die Diskussionen in Bern abgeschlossen sein werden, könnten Kantone wie Genf die Wiederverwertung auf Baustellen bis 2035 verpflichtend einführen – also Renovation statt Neubau. Oder etwa wenn das Stimmvolk im Kanton Zürich die Verankerung von Kreislaufwirtschaft in der Kantonalverfassung beschliessen sollte und damit zirkuläre Leitlinien für die Bautätigkeit auf Gemeindeebene setzt.  

Um der Transition zur Zirkularität einen grossen Schub zu geben, ist allerdings nichts wichtiger als der Austausch und die Vernetzung der Branche. Ein Blick in die Niederlanden zeigt, dass der konkrete Wandel ein Paket eindeutiger, untergesetzlicher Vereinbarungen erfordert, um zirkuläres Denken und Handeln in der täglichen Baupraxis zu verankern. Aufbauend auf der zirkulären Transitionsagenda der Bauindustrie wurde dort die Plattform CB'23 (Circular Construction 2023) von der öffentlichen Hand, der Normierungsorganisation, dem staatlichen Gebäudedienst und der Wirtschaft gegründet. Heute beschäftigen sich die mittlerweile über 1000 teilnehmenden Firmen und Organisationen entlang der gesamten Wertschöpfungskette in Arbeitsgruppen damit, Vereinbarungen für den gesamten niederländischen Bausektor als Grundlagen für die Standardisierung von Zirkularität im Bauwesen auszuarbeiten. 

Bei diesem Artikel handelt es sich um einen Gastbeitrag von Madaster Schweiz, verfasst von Marloes Fischer. Zum Original geht es hier. 

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