Zirkuläre Denkmalpflege: eine Forschungslücke mit Potential

Wie gross ist das Potenzial, wenn Denkmalschutz und Kreislaufwirtschaft im Bauwesen gemeinsam eine nachhaltigere gebaute Umwelt gestalten? Kira Kulik untersucht in ihrer Masterarbeit mittels umfassender Literaturanalyse die Forschungslücke zwischen den beiden Disziplinen.

Im Kontext begrenzter Ressourcen und der beträchtlichen Abfall- und Emissionsmengen, die von der Bauindustrie produziert werden, unterstreicht diese Arbeit die Bedeutung des baulichen Erbes und der Prinzipien der Kreislaufwirtschaft als Lösungsansätze zu diesen Herausforderungen. Um die gebaute Umwelt nachhaltiger zu gestalten, wird die mögliche Zusammenführung von Ansätzen der Denkmalpflege und des zirkulären Bauens im Detail untersucht.

Dabei wurde ermittelt, inwieweit sich Denkmalpflege und zirkuläres Bauen überschneiden oder ergänzen, welche die aktuellen Forschungstrends sind und wo es weiteren Forschungsbedarf geben könnte. Dazu wurde eine umfangreiche Hintergrundrecherche zu den Prinzipien von Denkmalschutz und Zirkularität durchgeführt, gefolgt von einer systematischen Literaturrecherche in Deutsch, Englisch und Französisch. Die Arbeit wurde auf 74 wissenschaftliche Beiträge in englischer, deutscher und französischer Sprache eingegrenzt, um den internationalen sowie den spezifisch Schweizer Forschungskontext zu untersuchen.


Ein zunehmendes Interesse am Thema

Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass das Interesse an dem Thema in letzter Zeit zugenommen hat, insbesondere in westlichen Gesellschaften. Der Schwerpunkt liegt momentan allerdings eher auf qualitativen Diskussionen als auf quantitativen Studien und fokussiert hauptsächlich auf einzelne historische Gebäude. Deren Bedeutung wird im breiteren Kontext des städtischen Gefüges anerkannt. Es gibt jedoch nur wenige Untersuchungen zu gewöhnlichen Gebäuden oder zum Gebäudebestand als Ganzes.

Forschungstrends und -lücken

Ein klarer Forschungstrend ist der "Adaptive Reuse", also der Umbau eines gesamten Gebäudes. Ausserdem werden in der untersuchten Literatur Themen wie Rahmenbedingungen und Normen, gefolgt von städtebaulichen Entwicklungen, energetischen Sanierungen und Erhaltung der Bausubstanz am häufigsten erwähnt. Nachhaltigkeitsthemen sind generell sehr präsent, Zirkularität beziehungsweise Kreislaufwirtschaftsprinzipien werden jedoch kaum explizit erwähnt. Themen wie natürliche Ressourcen und die Verwendung digitaler Werkzeuge wurden am wenigsten erwähnt.

Aus der Studie geht ebenfalls hervor, dass eine hervorgehobene Herausforderung die Einbeziehung mehrerer Interessengruppen bei komplexen städtischen Projekten ist, die Denkmalpflege und Zirkularitätsaspekte umfassen.

Forschungsbedarf

Es besteht Bedarf an Studien, die die Integration digitaler Werkzeuge wie HBIM (Historical Building Information Modeling) und LCA (Life Cycle Assessment) sowie den Wert von Rohstoffen im Sinne der Kreislaufwirtschaft untersuchen. Ausserdem zeigt die mehrsprachige Analyse, dass sich Wissen aus der deutschen und französischen Literatur gegenseitig ergänzt. In der deutschen Literatur werden zahlreiche Fallstudien mit Zustandsbewertung und -monitoring von bestehenden jüngeren oder älteren Gebäudestrukturen präsentiert, während sich die französische Literatur hauptsächlich auf Massnahmen zur energetischen Sanierung konzentriert.

Insgesamt geht aus dieser Studie hervor, dass Nachhaltigkeit zwar durchaus in der Denkmalpflege ein Begriff ist, die Integration von Zirkularitätsaspekten jedoch noch sehr begrenzt bleibt. Die vorliegenden Erkenntnisse könnten also Grundlage sein für ein Umdenken im Umgang mit dem baulichen Erbe und dessen Wertschätzung, damit nicht nur die historische Komponente, sondern auch eine schonende Ressourcennutzung einbezogen wird.
 

«Ich denke beide Disziplinen können viel voneinander lernen, denn in der Denkmalpflege sowie im zirkulären Bauen strebt man danach, die gebaute Umwelt in einer gewissen Weise zu erhalten.»

Kira Kulik

Eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen Denkmalpflegenden und Expert:innen des zirkulären Bauens wäre ein wegweisender Ansatz für eine nachhaltige und widerstandsfähige, gebaute Umwelt.

Ein Beispiel aus der Praxis ist Keiser’s Kammer. In diesem 2019 abgeschlossenen Projekt wurde antikes Baumaterial eingesetzt, das aus dem Rückbau von historischen Gebäuden stammt. Es zeigt auf, dass auch aus veraltetem, scheinbar unbrauchbarem Material noch Hochwertiges hergestellt werden kann. Nebst dem damit einhergehenden Gewinn für die Kreislaufwirtschaft kann auch historischer Charme und ein Eindruck der Vergangenheit erhalten werden. Mehr zum Projekt lesen Sie im Use Case Beitrag “Keiser's Kammer”.

Sind Sie interessiert die gesamte Arbeit zu lesen? Schreiben Sie uns gerne eine E-Mail an info@circularhub.ch.


Bildquelle: Laura Tancredi auf Pexels, Patrick Robert Doyle auf Unsplash und Kira Kulik
 

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