Ein Genfer Start-up presst aus loser Erde harte Ziegel. Im Idealfall vor Ort und aus dem Baustellenaushub. Für ein Schulhaus in Genf wurden damit erstmals tragende Wände gebaut. Ein Gastbeitrag von Roderick Hönig, Autor Hochparterre.
Seit 2011 tüfteln Laurent de Wurstemberger und Rodrigo Fernandez an Erdziegeln. Die unterschiedlichen Wissens- und Ausbildungsrucksäcke der beiden Romands ergänzen sich ideal: Der industrieerprobte Fernandez entwickelt die richtige Mischung und Körnung von Stein, Kies, Lehm, Sand und Silt, gleichzeitig optimiert der Materialingenieur den Produktionsprozess und kümmert sich um die Anforderungen einer Markteinführung. Der Architekt de Wurstemberger befasst sich mit dem Modul beziehungsweise der Modularität des Ziegels, entwickelt Anwendungsmöglichkeiten und akquiriert Projekte.
Hochparterre: Ihre Argumente für Ihren Erdziegel sind kurze Wege und geschlossene Materialkreisläufe. Gibt es überhaupt genug verwertbaren Aushub für Ihr Unternehmen?
Laurent de Wurstemberger: In der Schweiz und in anderen Industrieländern steht mehr als genug brauchbarer Aushub zur Verfügung. Nur schon in Genf werden jährlich drei Millionen Kubikmeter entsorgt. Dieser Aushub wird oft weite Strecken gefahren, um irgendwo möglichst billig entsorgt werden zu können, teilweise sogar nach Frankreich. Indem wir daraus Ziegel pressen, können wir Lastwagenfahrten vermindern und damit einen Beitrag zur Reduktion der CO²-Emissionen leisten.
Gibt es Unterschiede in der Qualität des Aushubs?
Je nach Erdschicht ist die Zusammensetzung verschieden. Normalerweise treffen wir ab drei Metern Tiefe auf gutes Material, also Erde, die sich aus Ton, Silt, Sand und Kies zusammensetzt. Die Frage ist aber nicht relevant, denn wir können uns die Erde aussuchen, aus der wir unsere Ziegel pressen. Sie wird uns kostenlos angeliefert. Die Bauunternehmer sind froh, wenn sie ihre Erde loswerden.
Wieso ist die Erweiterung der Geisendorf-Schule in Genf ein Meilenstein in der Terrabloc-Geschichte?
Bei diesem Projekt konnten wir das ganze Potenzial unseres Produkts ausschöpfen: Zum ersten Mal haben wir mit unseren Ziegeln tragende Wände gemauert, die wir mit unserer mobilen Presse direkt vor Ort aus dem Aushubmaterial pressten. Weil wir sie bis zur Verwendung auf der Baustelle lagern konnten, waren keine Lastwagenfahrten notwendig. Das Projekt hatte zudem eine soziale und pädagogische Komponente: Die Schüler haben auch an der Presse gestanden und wurden so direkt in den Bauprozess eingebunden. Parallel dazu hat der Lehrer im Unterricht die Kreislaufwirtschaft thematisiert.
Die Produktion der Ziegel muss zu einem viel früheren Zeitpunkt als ihre Verwendung geschehen. Und bis sie dann gemauert werden, müssen sie vor Ort gelagert werden, wenn unnötige Lastwagenfahrten verhindert werden sollen. Stehen die Abläufe auf der Baustelle nicht im Widerspruch zur Kreislaufidee?
Die In-situ-Fertigung bringt wertvolle Begegnungen mit sich, aber das Geisendorf-Setting ist leider nicht immer möglich. Sind die Bedingungen nicht gegeben, verwenden wir Erde von anderen Baustellen. Dann ist zwar der Materialkreislauf nicht mehr ganz geschlossen, aber es können trotzdem Lastwagenfahrten verhindert oder zumindest verkürzt werden. Am ökologischsten ist es in so einem Fall, wenn die Erde von einer Baustelle aus der Nähe unserer Produktionsanlage in Allaman kommt.
2018 haben sie von der Manufaktur auf eine industrielle Produktion umgestellt. Die Ziegel werden nun in grosser Stückzahl in einem Werk in Allaman gepresst. Ist das Geisendorf-Setting ein Auslaufmodell geworden?
Nein. Unsere mobile Presse bietet künftigen Nutzern immer noch die einzigartige Gelegenheit, etwas an ihr Bauprojekt beizutragen beziehungsweise sich damit auseinanderzusetzen. Direkter geht Teilhabe an einem Bauprozess nicht. Es ist vielmehr so, dass sich die beiden Produktionsarten ökonomisch bedingen: Mit der Erhöhung der Produktionskapazität von 1000 auf 20 000 Ziegel pro Tag konnten wir die Kosten um rund vierzig Prozent senken. Nur so können wir gegenüber dem Backstein einigermassen konkurrenzfähig sein. Die industrielle Herstellung erlaubt uns die aufwendigeren Manufakturprojekte.
Trotz der Umstellung auf Industrieproduktion ist die Terrabloc-Wand rund 10 bis 15 Prozent teurer als eine herkömmliche. Wie motivieren Sie Auftraggeber für Ihr Produkt?
Erstens: Die Mehrkosten sind im Gesamtbudget eines Bauprojekts verschwindend klein. Zweitens: Der Terrabloc bietet einen handfesten Mehrwert. Anders als ein Kalksand- oder Backstein hat er eine klimatische Wirkung: Wie ein Schwamm speichert er Feuchtigkeit und gibt sie dann verzögert wieder ab. Das erhöht den Wohn- und Lebenskomfort in Innenräumen. Vor allem öffentliche Bauherrschaften sehen einen Mehrwert insbesondere in der Nachhaltigkeit, dem Raumklima und der öffentlichen Wahrnehmung des Terrablocs.
Die tragenden Ziegel für das Geisendorf-Projekt haben Sie während langer Zeit entwickelt und auch zertifizieren lassen. Wieso wurden sie erst einmal eingesetzt?
Die handwerkliche Produktion und die kleinen Ziegelformate machen die Umsetzung von tragenden Wänden komplex. Wir haben deshalb mit der industriellen Produktion von achtzig Zentimeter langen Erdelementen begonnen, sogenannten Terrapads. Obwohl diese jüngste Entwicklung neue Potenziale für die baulichen Anwendungen eröffnet, wird der Terrabloc nie die Tragfähigkeit von Beton erreichen. Kurz: Jedes Material hat seine Anwendungsgebiete und Qualitäten. Die der Erde liegen nicht in der Tragfähigkeit.
Anders als bei einer Lehmwand, die nur aus Lehm und Kalk besteht, mischen Sie Ihren Erdziegeln zwischen zwei und fünf Prozent Zement bei. Wie ökologisch ist das?
Selbst mit fünf Prozent Zement reduziert eine nicht tragende Terrabloc-Wand die CO²-Emissionen um rund vierzig Prozent gegenüber einer verputzten Backstein-Trennwand. Darüber hinaus kann die Erde bei diesen niedrigen Dosierungen weiterhin ihre Rolle als Feuchtigkeitsregulatorin ausspielen. Wir setzen deshalb mehr auf Materialintelligenz als auf Materialreinheit. Der Zementanteil ist der Schlüssel zu einer grösseren Reichweite. Denn Bauherren haben Angst vor der Erosion freiliegender, nicht stabilisierter Erdwälle. Laufende Experimente zeigen, dass wir den Zementanteil noch weiter reduzieren oder ihn sogar vollständig durch natürliche Produkte ersetzen können. Trotz des Zementanteils bleibt der Ziegel rezyklierbar: Bei einem allfälligen Abbruch des Gebäudes zermahlen wir die Blöcke und pressen dann einfach wieder neue Terrablocs daraus.
Wo positionieren sie die Terrabloc-Wand gegenüber der Lehmwand?
Beide Wände eignen sich besser für Innenräume: Wie der Terrabloc reagiert auch eine dem Regen ausgesetzt Lehmwand empfindlich. Wichtigster Unterschied sind allerdings die Kosten: Die Lehmwand ist rund zehnmal teurer als die Terrabloc-Wand. Sie wird ein Luxusprodukt bleiben. Wir aber wollen unsere Ziegel einer breiten Bevölkerungsschicht zugänglich machen.
Der ausführliche Beitrag von Roderick Hönig erschien im Hochparterre 4/20.
Bild
Öffentliche Einrichtung, Geisendorf (Architekt David Reffo), © Laurent de Wurstemberger.