Der «Faktor Mensch» in der Kreislaufwirtschaft

Zirkuläres Wirtschaften soll dazu dienen, unsere Gesellschaft nachhaltiger zu gestalten. Die menschlichen Aspekte der Kreislaufwirtschaft beschränken sich dabei oft auf die Anzahl neu geschaffener Arbeitsplätze. Doch diese Betrachtung greift zu kurz.

Damit eine zirkuläre Wirtschaft funktionieren kann, braucht es ein System einschliesslich der Menschen, die vollumfänglich zirkulär denken. Denn die Prinzipien der Kreislaufwirtschaft lassen sich direkt auf das «Human Capital» anwenden. Genauso wie für den Materialfluss gilt es auch dort, «Verschwendung» und «Engpässe» zu vermeiden. Das bedeutet, es müssen genügend Arbeitskräfte zur Verfügung stehen, um produktionsfähig zu sein. Gleichzeitig sollten arbeitsfähige Menschen für ihre Fähigkeiten wertgeschätzt werden und nicht über einen längeren Zeitraum beschäftigungslos sein.

Ein zirkulärer Fluss von «Human Capital» ist aus verschiedenen Gründen heute wichtiger denn je. Erstens werden Arbeitskräfte durch den demografischen Wandel immer knapper. Dadurch steigt die Notwendigkeit, dass Menschen länger arbeiten und jeder, der dazu in der Lage ist, einen Beitrag leistet. Da eine erfüllende Arbeit Menschen motiviert, ist ein zirkulärer Arbeitsmarkt nicht nur aus wirtschaftlicher Sicht, sondern insbesondere für das individuelle Wohlbefinden wichtig. Zweitens sorgt die zunehmende Automatisierung dafür, dass sich berufliche Aufgaben schnell verändern. Die berufliche Um- und Weiterbildung von Arbeitskräften gewinnt dadurch zunehmend an Bedeutung. Drittens impliziert der Wandel hin zu einer zirkulären Wirtschaft, dass sich der Bedarf an Arbeitskräften verändert. Durch die verlängerte Nutzung von Gütern werden beispielsweise weniger Arbeitskräfte in der Fertigung, dafür mehr in der Logistikbranche und der Reparatur benötigt.

Vorherrschende Linearität im Arbeitsmarkt

Der Arbeitsmarkt und die berufliche Laufbahn sind gegenwärtig vollständig linear ausgerichtet: Nach dem Abschluss der Schule oder des Studiums nimmt die Verantwortung zu, das Gehalt steigt, Entwicklungsmöglichkeiten beschränken sich auf den Arbeitsplatz und schliesslich geht es in den Ruhestand. Es ist das perfekte Beispiel für das lineare «Take-Make-Dispose»-Modell.

Wie sieht ein zirkulärer Arbeitsmarkt aus?

Die berufliche Laufbahn kann jedoch auch aus Kreisläufen bestehen. Nach dem Berufseinstieg wird die höchste Stufe hinsichtlich Produktivität, Arbeitszufriedenheit und Gehalt erreicht. Nach einiger Zeit kann diese Entwicklung stagnieren. Durch eine Schulung in einem neuen Bereich oder den Wechsel des Arbeitsplatzes ohne hierarchischen Aufstieg bzw. in eine neue Branche kann ein neuer Zyklus beginnen. Das bedeutet aber unter Umständen auch, dass regelmässige Lohn- oder Gehaltserhöhungen der Vergangenheit angehören und im Laufe des Berufslebens Schwankungen auftreten können.

Ein Blick auf die in der Kreislaufwirtschaft geläufigen Zyklen veranschaulicht das Konzept noch besser:

  • Reduzieren: Es geht es darum, den ineffizienten Einsatz von Arbeitskräften zu verhindern. Die Produktivität von Mitarbeitern, die zu lange am gleichen Arbeitsplatz tätig sind, kann sinken. Dies betrifft auch Mitarbeiter, die mit ihrer Tätigkeit unzufrieden sind oder die aufgrund des technologischen Fortschritts nicht mehr mithalten können.
     
  • Wiederverwenden: In einem zirkulären Arbeitsmarkt übernehmen Mitarbeiter mit bestimmten Fähigkeiten auch andere Aufgaben. Fachwissen und Fähigkeiten werden auf unterschiedliche Art und Weise wiederverwertet.
     
  • Recyceln: Das Ziel einer sozialen Kreislaufwirtschaft ist es, Menschen, die den Arbeitsprozess verlassen, so schnell wie möglich zu reaktivieren.

Wie ist dies zu erreichen?

Aktuell wird hauptsächlich am Anfang der beruflichen Laufbahn und am Arbeitsplatz in Bildungsmassnahmen investiert. Um dies grundlegend zu ändern, könnten Mitarbeiter die Möglichkeit erhalten, selbst Verantwortung zu übernehmen. Beispiele dafür wären Trainingsgutscheine, die bei Bedarf während der beruflichen Laufbahn für kontinuierliche Um- und Weiterbildung eingelöst werden können. Hilfreich wären zudem individueller zugeschnittene Rentenansprüche. Eine Rentenlücke sollte nicht der Grund sein, bei einem Arbeitgeber zu bleiben.

Auch sollte das Verhältnis zwischen Beschäftigungssicherheit und Flexibilität neu definiert werden. Es wären beispielsweise flexible Arbeitsverhältnisse denkbar, bei denen Arbeitnehmer von Arbeitgebern mit ähnlichen Arbeitsbedingungen übernommen werden können. Das erfordert flexible Arbeitgeber und unbefristete Verträge. Die Grundvoraussetzung für diese Veränderungen ist jedoch, dass sich die Denkweise vieler Menschen ändert. Sie dürften sich nicht mehr auf ein stetig steigendes Einkommen konzentrieren. Hilfreich wäre ein Lebensstil, bei dem die Abhängigkeit von einem hohen Gehalt geringer ist. So wünschenswert der hier aufgezeigte, zirkuläre Fluss des «Human Capital» ist, so schwer wird er realisierbar sein. Vielleicht wurde deshalb noch nicht viel dazu geschrieben. Eines ist allerdings sicher: Eine Kreislaufwirtschaft mit Menschen, die ausschliesslich in linearen beruflichen Laufbahnen denken, wird nicht funktionieren.

Den ausführlichen Beitrag von Hans Stegeman finden Sie hier auf Holländisch. Hans Stegeman ist Head of Investment Analysis and Economics bei der Triodos Bank.

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