Es ist ein weitverbreitetes Problem: Wir sitzen in hochmodern ausgestatteten Konferenzräumen, in denen nach kurzer Zeit die Luft steht. Die Energieeffizienz ist gut für die Umwelt, aber schlecht für den Menschen. Das muss nicht sein. Werner Schönthaler, Gesellschafter und Bauberater bei Schönthaler Betonsteinwerk und Baustoffhandel, fertigt das Baumaterial Hanfstein aus Hanf an. Damit lässt sich nicht nur komplett abfallfrei bauen, sondern eine CO2-Bilanz von minus 90 Prozent realisieren.
Die Idee
Den Entschluss, natürliche Bauprodukte aus regional nachwachsenden Rohstoffen herzustellen, fasste der Südtiroler Werner Schönthaler nach einer ihm durch einen schweren Sportunfall aufgezwungenen Ruhepause. Mit über 20 Jahren Erfahrung im Baugewerbe brachte er das nötige Wissen und die Erfahrung mit, um einen geeigneten Baustoff zu identifizieren. Mit Hanf fand er einen idealen Rohstoff, der die Schliessung des Wertstoffkreislaufs im Bau ermöglicht und zugleich das Wohlbefinden der Bewohner sicherstellt.
Eine herkömmliche Gebäudewand besteht aus drei bis vier Schichten: Backsteine, Zementkleber, Plastiknetz und eine Dämmschicht sind untrennbar miteinander verbunden. Nach Abbruch so einer Wand landen die Materialien in der Regel auf der Deponie. Im besten Fall, wie beispielsweise bei Beton, kann ein Down-Cycling durchgeführt werden. Doch ein Recycling, bei dem aus einem Baustoff wieder exakt derselbe Baustoff entsteht, ohne dabei Abfall zu erzeugen, kommt im Bau kaum vor.
Anders ist das mit Hanf. Wird mit Hanf gebaut, besteht der Wandaufbau von Baustein, Mörtel und Putz immer nur aus drei Materialien: Hanf, Kalk und Wasser. Bei der Demontage können die Hanfziegel als Baumaterial komplett wiederverwendet oder in geschreddertem Zustand als Naturdünger eingesetzt werden. Dabei entsteht kein Abfall.
Dank der Eigenschaften der Hanf-Kalk-Mischung dämmt, speichert und reflektiert die Wand Wärme, reguliert die Luftfeuchtigkeit und reinigt die Raumluft. Zusätzlich ist sie schalldämmend. Damit wird der Einsatz von zusätzlichem Dämmmaterial überflüssig. Nach Berechnungen der EN 15804, der Norm für die Erstellung von Umwelt-Produktdeklarationen, wird in Hanfstein rund 90 Prozent mehr CO² gespeichert, als im gesamten Zyklus von Anbau, Produktion bis hin zur Kompostierung freigesetzt wird. Dies entspricht einer Bilanzsumme von minus 90 Prozent.
Vorgehen
Schönthaler entwickelte das Kaltluftverfahren zur Herstellung der Bausteine aus Hanf und Kalk im Familienbetrieb. Im Gegensatz zu normalen Ziegeln müssen Hanfziegel nicht gebrannt werden, sondern trocknen an der Luft. Zugute kam ihm, dass die Ziegelpresse bereits vorhanden war. Er baute sie komplett um, so dass nun sowohl herkömmliche als auch Hanf-Ziegel produziert werden können. Drei Jahre lang wurde experimentiert. Zum Testen und Lernen hat Schönthaler sein eigenes Haus mit Abfallsteinen gebaut.
Die Beschaffung der Materialien aus der Region wurde durch seine beiden Partnern Ecopassion und Alpenpioniere möglich. Alpenpioniere hat Lebensmittelhanf rekultiviert. Seit 2018 bauen über 30 Bio-Landwirte Hanf in Norditalien, Süddeutschland und der Schweiz an. Der Hanf wird dabei nicht nur als gesunder Baustoff verwendet, sondern auch als Nahrungsmittel, für Kosmetika oder Textilien. Außerdem wird durch den Anbau von Hanf die Bodenbeschaffenheit regeneriert und es ist kein Einsatz von Pestiziden oder Herbiziden erforderlich. Laut Ecopassion wächst die Hanfpflanze etwa 50-mal schneller als Holz. In nur fünf Monaten wächst auf einem Hektar Hanffeld Biomasse für ein kleines Einfamilienhaus.
Die Blüten und Samen fliessen überwiegend in die Lebensmittelproduktion, zum Beispiel für Öle oder als Proteinlieferanten. Übrig bleibt der Stamm. In einer Ausschlussanlage wird die Faser des Stamms vom Holz getrennt. Die sehr widerstandsfähige Faser wird in der Textilindustrie, aber auch der Automobilindustrie verwendet. Die Hanfbausteine werden aus dem holzigen Anteil, den sogenannten Hanfschären, zusammen mit dem Bindemittel Naturkalk produziert.
Herausforderungen
Um das Material im Bau einsetzen zu können, musste eine gleichbleibend hohe Qualität der Steine sichergestellt werden. Dies erfordert das richtige Mischverhältnis von Hanfschären und Kalk. Außerdem mussten die Gründer die passenden Kalksorten mit ausreichend Mineralgehalt identifizieren, um die optimale Trocknungszeit bei gleichzeitiger optimaler Dämmwirkung zu erzielen.
Mit der nötigen Zertifizierung der Baustoffe für den kommerziellen Einsatz kamen die finanziellen Herausforderungen. Als Erster in Europa musste Schönthaler für die technische Zertifizierung Kosten von über 50.000 EUR tragen und zusätzlich für die Sensibilisierung der Fachgremien sorgen. In Italien hat er die Zertifizierung erhalten, in Deutschland und Österreich ist damit im Herbst zu rechnen. In der Schweiz müssen zusätzlich hohe Anforderungen im Brandschutz erfüllt bzw. umfangreiche und kostenintensive Tests gemacht werden.
In Italien war der Markteintritt erfolgreich. 2016 hat dort das erste Hanfhaus den Green Buildings Award gewonnen. In der Schweiz reagieren Kunden und Architekten bei neuen Materialien zurückhaltender, zumindest bevor genügend Referenzen vorhanden sind. Mit der Lieto Bar eröffnete Flims 2019 das erste Referenzobjekt. Weitere Projekte in der Region Bern sowie in Flims sind in Planung.
Next steps - Was ist der Plan für die weitere Entwicklung?
Schönthaler ist überzeugt, dass der Bau mit Hanfsteinen der Zukunft dient. Die EU-Richtlinie über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden schreibt vor, dass alle neuen Gebäude bis Ende 2020 nahezu energiefrei sein müssen. Das heisst, dass bei jedem Bau die Produktion und Entsorgung der Materialien in die Ökobilanz einberechnet werden müssen.
«Bauten mit Hanf-Kalk wird dem Anspruch der EU-Richtlinie über die Energieeffizienz von Gebäuden heute schon gerecht. Und weil wir mit unseren Partnerfirmen vom Anbau bis zur Produktion des Baumaterials zusammenarbeiten, können wir auch in einem Kreislauf arbeiten»
unterstreicht Werner Schönthaler
Es wird in den nächsten Jahren weiter darum gehen, Hanf und Kalk als Baumaterialien bekannter und die damit mögliche gesunde, wohltuende und klimaschützende Bauweise noch populärer zu machen. Nach den Kernmärkten Italien, Schweiz und Deutschland steht ganz Europa im Visier, aber auch die Vereinten Arabischen Emirate oder Australien. Dafür wird auch die Erweiterung der Produktpalette wichtig werden. Dank der Eigenschaften von Kalk können auch härtere Mischungen für Fundamente hergestellt werden. Der nächste Schritt wird der Aufbau weiterer Produktionen ausserhalb der Schweiz sein.
Für Schönthaler und seine Gesellschafter bei ecopassion und Alpenpionieren ist jedoch die Weiterentwicklung der Materialien und Produkte weiterhin zentral. Dafür kooperieren sie nicht nur mit Partnern innerhalb der Baubranche, sondern auch mit Unternehmen aus der Textilbranche, z. B. Glärnisch Textil oder Salewa. Die Weiterentwicklung der Einsatzmöglichkeiten des Naturmaterials ist nur durch den Erfahrungsaustausch über die eigenen Branchengrenzen hinaus möglich.
„Wir möchten mit unseren Partnern auf einer Wellenlänge sein. Nur so können wir das grosse Ziel eines 360°-Kreislaufs mit Hanf realisieren,“ betont Schönthaler. Erst wenn grosse Baustoffhändler seine Produkte vertreiben und Bauherren nach gesunden Baumaterialen fragen, lässt sich die gewünschte Skalierung umsetzen.
Wie sieht die Situation 2021 aus? Lesen Sie hier unseren zweiten Artikel über Werner Schönthaler.
Kontakt
Werner Schönthaler
Bauberater – Consulente
info@schoenthaler.com
www.hanfstein.eu
ww.schoenthaler.com
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