«Post-Covid: Wachstumschancen für Schweizer Unternehmen»

Barbara Kux ist Multi-Verwaltungsrätin in internationalen Firmen und setzt sich dort für die Kreislaufwirtschaft ein. Ein Gespräch über zirkuläre Beschaffung und warum die Wiederverwendung von Ressourcen nach Covid-19 zur neuen Normalität werden sollte.

Circular Hub: Frau Kux, wieso liegt Ihnen die Kreislaufwirtschaft am Herzen?

Barbara Kux: Wir verbrauchen heute bereits so viele natürliche Ressourcen, als hätten wir 1,7 Erden. Allein durch das vorhersehbare Wachstum der Weltbevölkerung werden es im Jahr 2030 schon zwei Erden sein. Das ist keine nachhaltige Perspektive. Die Kreislaufwirtschaft mit ihrem ganzheitlichen Ansatz kann von der nachhaltigen Produktgestaltung über die Rohstoffgewinnung, den Einsatz und die Nutzung bis hin zum Recycling einen entscheidenden Beitrag zu einer verbesserten Umweltbilanz leisten. Sie  sollte deshalb post-Covid-19 zur neuen Normalität werden, zumal sie auch ein enormes Wachstumspotenzial bietet.

Worin sehen Sie als Multi-Verwaltungsrätin Ihre Aufgabe?
Als Verwaltungsrätin ist es für mich eine zentrale Aufgabe, auf diese Chancen hinzuweisen. Denn Kreislaufwirtschaft ist nicht nur gut für die Umwelt, sondern sie bringt auch grosse Vorteile für die Unternehmen und ihre Kundinnen und Kunden, Mitarbeitenden und Anteilseignerinnen und Anteilseigner.Das habe ich schon mit meinen Teams bei Siemens und Philips erfolgreich gestalten und erleben dürfen.

Bei beiden Unternehmen steigerten Sie die Ergebnisse aus Beschaffung und Umwelttechnologie um mehrere Milliarden Euro. Was gab den Ausschlag dafür im Beschaffungsprozess?
In beiden Firmen haben wir im Team zunächst volle Transparenz über das Einkaufsvolumen hergestellt. Die Diagnosephase lieferte konzernweite Kennzahlen, zum Beispiel das Einkaufsvolumen nach Materialgruppen, Lieferanten und Herkunftsländern wie auch die Übersicht von Chancen für Innovationen sowie Risikopositionen in den Lieferketten. Dann haben wir eine Strategie formuliert und darin beispielsweise festgelegt, den Einkauf welcher Materialien wir bündeln sollten, um das Optimum an Synergien zu bewirken und wo wir Chancen besser nutzen und Risken reduzieren sollten. Gemeinsam mit den Geschäftsbereichen haben wir Ziele in Bezug auf Materialproduktivität, Qualität, Lieferfähigkeit und Nachhaltigkeit definiert und ein nachhaltiges Einkaufsnetzwerk aufgebaut.

Wie haben Sie die Beziehungen zu den Lieferbetrieben konkret verändert?
Bei Siemens haben wir unseren Zulieferfirmen die Teilnahme an unserem internen Programm zur Steigerung der Energieeffizienz angeboten. Wir haben ihnen geholfen, die Umwelt zu schonen, Kosten einzusparen und auch für andere Kundinnen und Kunden wettbewerbsfähiger zu werden. Gleichzeitig brachte das für den Siemens-Vertrieb neue Geschäftschancen im Bereich Umwelttechnologie. Also eine klare Win-win-Situation. Wir waren damals das erste Unternehmen, das seinen Partnern ein solches Programm angeboten hat. 2010 konnten wir dann erstmals den Nachhaltigkeitspreis für Zulieferfirmen vergeben. Erfolgreicher Einkauf handelt verantwortungsvoll und nachhaltig und setzt bei der Auswahl der Zulieferfirmen auf Qualität, auf gute Zusammenarbeit und kontinuierliche Weiterentwicklung.

«Kreislaufwirtschaft stärkt die Wettbewerbsfähigkeit, die Resilienz der Lieferketten, die Reputation und in den meisten Fällen auch den Umsatz.»

Barbara Kux, Multi-Verwaltungsrätin

Wie lässt sich Zirkularität im Beschaffungsprozess der Unternehmen einbinden?
Man muss schon bei der Produktentwicklung mit nachhaltiger Gestaltung beginnen. Bei Philips richteten wir eigens einen Eco-Design-Prozess ein und konzentrierten uns auf fünf grüne Kernpunkte: Energieeinsparungen, Verpackung, Lebensdauer, Gewicht und Materialien. Heute gehört die Kreislaufwirtschaft ganz klar in die engere Auswahl relevanter Kriterien.

Wir hören aber oft das Argument, dass eine zirkuläre Beschaffung teuer ist.
Kreislaufwirtschaft stärkt die Wettbewerbsfähigkeit, die Resilienz der Lieferketten, die Reputation und in den meisten Fällen auch den Umsatz. Ausserdem spart sie Kosten für Materialien und Energie. Die Wiederverwendung von Ressourcen macht die Gesamtkalkulation also im Gegenteil eher günstiger. Sie ist nicht nur bei Kundinnen und Kunden und Mitarbeitenden beliebt, sondern ein echter Wettbewerbsvorteil.

Ist der Preis das Hauptkriterium bei Beschaffungen?
Der Preis, oder besser gesagt die Gesamtbetriebskosten im Sinne der Total Cost of Ownership, ist und bleibt natürlich wichtig. Entscheidend ist aber, sämtliche Faktoren einzubeziehen und das Gesamtbild zu sehen. Dazu gehören auch Qualität, Liefertreue, Innovationskraft und Nachhaltigkeit.

Welches Gewicht hat Zirkularität im aktuellen Beschaffungsprozess der Unternehmen?
Ein stark zunehmendes. Bei dem belgischen Materialtechnologieunternehmen Umicore etwa, das ich als Verwaltungsrätin begleiten durfte, haben wir ein grosses Recycling-Geschäft aufgebaut, mit dem wir Batterien, Akkumulatoren und Smartphones wiederverwerten, einschliesslich des Recyclings seltener Erden.

Sind Sie der Meinung, dass es Rahmenbedingungen bräuchte, die eine zirkuläre Beschaffung fördern?
Statt zahlreicher kleinteiliger Rahmenbedingungen und bürokratischer Vorgaben bin ich für eine klare, einfache und einheitliche Vorgabe: die Einführung eines CO2-Preises auf europäischer Ebene.

Ist die Kreislaufwirtschaft als Zielmaxime bereits in den Verwaltungsräten angekommen?
Da bin ich mir nicht ganz so sicher. Laut einer Studie von Mazars sehen in Europa erst 53 Prozent der Board Mitglieder einen Business Case für Nachhaltigkeit und noch weniger wissen, wie sie konkret dazu beitragen können. Das war allerdings vor Covid-19.

Und nach Covid-19?
Nachhaltiges Wirtschaften ist ein entscheidender Erfolgsfaktor, weil alle Anspruchsgruppen dies wünschen, post-Covid-19 sogar vermehrt: Investorinnen, Investoren, Mitarbeitende, externe Stakeholder und Kundinnen und Kunden. Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft, «Green Businesses», bieten den meisten Firmen definitiv Wachstumschancen, gerade hier in der Schweiz und jetzt, in einer Zeit nach der Covid-19-Krise, in der wir alle wieder einmal erkennen mussten, dass unsere Ressourcen und Möglichkeiten nicht endlos sind.

«Zur Person»
Barbara Kux ist Multi-Verwaltungsrätin in internationalen Unternehmen sowie stellvertretende Vorsitzende des Verwaltungsrats von Firmenich. Von 2008 bis 2013 war sie Mitglied des Vorstands von Siemens und zuvor Chefeinkäuferin und Mitglied der Konzernleitung bei Philips. In beiden Funktionen steigerte sie die Ergebnisse aus Beschaffung und Umwelttechnologie um mehrere Milliarden Euro. In den 1990er Jahren baute sie für Nestlé und ABB das Osteuropageschäft auf. Ihre berufliche Laufbahn begann Barbara Kux bei McKinsey Deutschland. Nach Studien in der Schweiz und den USA schloss Barbara Kux ihren MBA am INSEAD mit Auszeichnung ab. Bkux.com

Titelbild
Ishant Mishra, Unsplash

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