Nachhaltige Kreislaufschlüsse gestalten

Forscherinnen und Forscher der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH) gehen der Frage nach, wie Wertschöpfungsketten zirkulär gestaltet werden können. Es ist ihnen wichtig, dass solche Umgestaltungen auch immer ökologisch und ökonomisch nachhaltig sind. Am Beispiel von Dämmstoffen für die Bauindustrie testen sie neu entwickelte Indikatoren, die das sicher stellen sollen.

Das TACLE Projekt «Auf dem Weg zu einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft» ist ein Projekt des Nationalen Forschungsprogramms «Nachhaltige Wirtschaft» (NFP 73). Die Forscherinnen und Forscher der Gruppe für Nachhaltigkeit und Technologie (SusTec) und der Gruppe Ökologisches System Design (ESD) an der ETH Zürich, beschäftigen sich darin mit zirkulären Wertschöpfungsketten und der Identifikation der erforderlichen Änderungen in Politik und Industrie.

«Eine Kreislaufwirtschaft ist häufig umweltfreundlich, aber nicht immer. Daher brauchen wir neue Indikatoren zur Bewertung», sagt Melanie Haupt, Senior Researcher am ESD. «Im TACLE-Projekt wollen wir herausfinden, welche Kreislaufschlüsse, wie zum Beispiel Wiederverwenden, Reparieren oder Wiederaufbereiten, aus ökologischer und ökonomischer Perspektive tatsächlich sinnvoll sind, um eine nachhaltige Wertschöpfungskette zu gestalten.» (Blum, Haupt & Bening 2020; Bening, Blum & Haupt 2019)

Zirkuläre Wertschöpfungsketten neu beurteilen
Bis anhin wurden oft Indikatoren wie die Recyclingrate oder Sammelrate verwendet, um abzuschätzen, wie gut Produkte, Prozesse, Firmen oder Länder in Bezug auf die Kreislaufwirtschaft abschneiden. Diese Indikatoren decken jedoch nicht die Gesamtumweltbelastung ab. Die Forschenden am ESD entwickelten nun einen Indikator, der über einen ganzen Wertschöpfungskreislauf den ökologischen Wert verschiedener zirkulärer Strategien misst (Haupt & Hellweg 2019).

Am SusTec werden die Ergebnisse auf der ökonomischen Ebene gespiegelt, um in Zukunft beide Perspektiven zu kombinieren und gemeinsame Aussagen treffen zu können. «Die entwickelten Indikatoren können einen Beitrag leisten, eine ökologisch und ökonomisch nachhaltige Kreislaufwirtschaft umzusetzen», sagt Nicola Blum, Senior Researcher am SusTec. Im Idealfall haben die Forscherinnen und Forscher eine Berechnungsmethode entwickelt, die helfen kann, in der Schweiz eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft zu etablieren.

«Eine Kreislaufwirtschaft ist häufig umweltfreundlich, aber nicht immer. Daher brauchen wir neue Indikatoren zur Bewertung.»

Melanie Haupt, Senior Researcher am ESD

Analyse unterschiedlicher Branchen
Im Forschungsprojekt wird diese Problematik in verschiedenen Branchen analysiert, ein erster Fokus wird dabei auf die Dämmstoff- und Plastikindustrie gelegt. Bei der Auswahl der Industrien ging es darum, Wertschöpfungsketten mit möglichst unterschiedlichen Eigenschaften zu untersuchen. Plastikverpackungen zum Beispiel haben eine kurze Lebensdauer und können zum Teil, etwa bei PET, schon rezykliert werden. Dämmstoffe hingegen sind über einen langen Zeitraum in Gebrauch. Werden sie demontiert, finden sie meistens keine Wiederverwendung und gelangen in die Kehrichtverbrennungsanlage. «Wenn wir uns die Mengen von Dämmstoffmaterialien in Gebäuden sowie die Auswirkungen von Produktion und Entsorgung anschauen, sind dessen Kreislaufschlüsse für eine nachhaltige Wirtschaft von grosser Bedeutung», sagt Maja Wiprächtiger, die beim ESD für das TACLE-Projekt forscht. Zurzeit würden nur sehr wenige Dämmstoffe im Kreislauf geführt. Ursachen dafür sind fehlende Recyclingprozesse und fehlende Anreize für das Recycling, die derzeitigen Installations- und Rückbaupraktiken sowie die gesetzlich vorgeschriebene Verbrennung von Kunststoffdämmstoffen. «Für das Jahr 2050 wird ein Fliessgleichgewicht vorausgesagt», sagt Wiprächtiger. Das bedeute, dass in etwa 30 Jahren gleich viel Material zurückgebaut, wie neu eingebaut werden könne (Heeren & Hellweg 2019). «Materialien, die wir heute einsetzen, dürfen nicht toxisch sein und sollten kreislauffähig sein», erklärt die Forscherin.

«Die entwickelten Indikatoren können einen Beitrag leisten, eine ökologisch und ökonomisch nachhaltige Kreislaufwirtschaft umzusetzen.»

Nicola Blum, Senior Researcher am SusTec

Ökologische und ökonomische Bewertung der Dämmstoffe
Ein grosser Teil der ökologischen Bewertung der Dämmstoffe steht. Maja Wiprächtiger analysierte die Materialflüsse und Umweltauswirkungen von Dämmstoffen in Schweizer Wohngebäuden und skizzierte Szenarien verschiedener zirkulärer Strategien auf, um die Belastungen zu reduzieren. Die Ergebnisse sind wissenschaftlich publiziert (Wiprächtiger et al. 2020)

Um das ökonomische Umsetzungspotenzial zirkulärer Strategien in der Dämmstoffindustrie zu beurteilen, führte Anna Kulakovskaya vom SusTec Interviews mit Industrievertretern. Sie konnte dadurch spezifizieren, welche Kreislaufschlüsse für die Dämmstoffindustrie relevant werden könnten und welche nicht. Zudem konnte erfasst werden, was mögliche Kreislaufschlüsse hemmt. Diese Erkenntnisse fliessen nun in die Entwicklung und Quantifizierung der ökonomischen Beurteilung von zirkulären Wertschöpfungsketten ein. Beide Aspekte werden in Folgeartikeln im Circular Hub Magazin zusammengefasst.

Kontakt
Nicola Blum, Senior Researcher, ETH Zurich, Group for Sustainability and Technology, nblum@ethz.ch
Melanie Haupt, Senior Researcher, ETH Zurich, Group for Ecological System Design, mhaupt@ethz.ch

Portrait Nicola Blum
© Johanna Muther

Referenzen
Haupt, M., Hellweg, S., 2019. Measuring the environmental sustainability of a circular economy. Environ. Sustain. Indic. 1–2, 100005.

Blum, N.U., Haupt, M., Bening, C.R., 2020. Why «Circular» doesn’t always mean «Sustainable». Resour. Conserv. Recycl. 162, 105042.

Wiprächtiger, M., Haupt, M., Heeren, N., Waser, E., Hellweg, S., 2020. A framework for sustainable and circular system design: Development and application on thermal insulation materials. Resour. Conserv. Recycl. 154, 104631.

Bening, C.R., Blum, N.U., Haupt M., 2019, Eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft ist mehrdimensional, Die Volkswirtschaft

Heeren, N., Hellweg, S., 2019. Tracking Construction Material over Space and Time: Prospective and Geo-referenced Modeling of Building Stocks and Construction Material Flows. J. Ind. Ecol.

More news

April 2024 | Artikel

Zirkuläre Denkmalpflege: eine Forschungslücke mit Potential

Wie gross ist das Potenzial, wenn Denkmalschutz und Kreislaufwirtschaft im Bauwesen gemeinsam eine nachhaltigere gebaute Umwelt gestalten? Kira Kulik untersucht in ihrer Masterarbeit mittels umfassender Literaturanalyse die Forschungslücke zwischen…

April 2024 | Use Case

Keiser's Kammer: Zirkuläres Bauen mit historischem Material

Keiser’s Kammer, ein idyllisches B&B, realisierte bei der Sanierung zirkuläres Bauen. Wie antikes Baumaterial und lokale Materialien weiterverwendet wurden, zeigt unser Use-Case.

April 2024 | Lesetipps

Unsere Lese- und Hörtipps

Bei unseren Recherchen lesen und sehen wir viel Innovatives, Kreatives und Praktisches zum Thema Circular Economy. Was uns überzeugt, stellen wir einmal im Monat für Sie zusammen.

Contact Callback Newsletter