Digitalisierung treibt zirkuläres Bauen

Die Baubranche hat ein grosses Potenzial eine gesündere Umwelt zu gestalten und Gebäude zu realisieren, in denen wir gerne leben. Mit digitalen Tools und der Zusammenarbeit in der Branche lassen sich Wertschöpfungsketten zirkulär gestalten.

Im vergangenen Jahr investierte  die Schweizer Bauwirtschaft bei stagnierenden Investitionen vermehrt in Umbauten und Erweiterungen anstatt in Neubauten. Was bedeutet das für die Materialflüsse in der Branche, die aktuell über 80 Prozent des Abfallaufkommens in der Schweiz generieren? Kurz gesagt: Die Baubranche hat derzeit ein noch nie da gewesenes Potenzial, neue Wege der Baukultur zu beschreiten. Was wäre, wenn wir für Umbauten und Erweiterungen Bauteile weiterverwenden und neue Rohstoffe aus Bauabfällen gewinnen? Wenn jedes neue Gebäude mit bereits vorhandenen Materialien gebaut würde? Wer es wagt, Neu- und Umbauvorhaben mit einem solch neuen Blick anzugehen, erschafft nicht nur bessere Perspektiven für die Umwelt und ein höheres Wohlbefinden der Gebäudenutzerinnen und Gebäudenutzer. Da rund ein Fünftel der Baukosten auf Materialien entfallen, verspricht die Werterhaltung von Materialen auch eine signifikante Kapitalisierung. Das ist gerade in Zeiten schwankender Rohstoffpreise und unsicherer Lieferketten eine attraktive Perspektive.

Online-Kataster für Materialien
Ein wesentlicher Treiber für eine zirkuläre Baubranche ist die Digitalisierung. Sie ermöglicht eine grundlegende Transparenz und fördert so die zirkuläre Organisation von Bau, Management, Renovation und Rückbau von Gebäuden sowie die Wiederverwendung von Ressourcen. «Die Zukunft ist unbekannt, aber indem wir registrieren, welche Materialien und Produkte verwendet werden, sind wir in der Lage, uns darauf vorzubereiten», sagt Marloes Fischer. Sie hat 2018 den Circular Hub, die Wissens- und Netzwerkplattform für Kreislaufwirtschaft in der Schweiz gegründet. Als Initiatorin von Madaster in der Schweiz, dem Online-Kataster für Materialien der gebauten Umgebung, weiss sie, worüber sie spricht, wenn sie die folgenden fünf praktischen Schritte hin zu einer zirkulären Baubranche nennt.

«Die Zukunft ist unbekannt, aber indem wir registrieren, welche Materialien und Produkte verwendet werden, sind wir in der Lage, uns darauf vorzubereiten.»

Marloes Fischer, Gründerin Madaster Schweiz

Beim Design beginnen
Damit Baustoffe möglichst hochwertig behalten werden können, muss bereits zu Beginn der Wertschöpfungskette angesetzt werden. Überlegungen zum Design des Produkts zur späteren Wiederverwendung (Design for Lifetime Extension) sind ebenso wichtig wie der Einsatz von wiederverwendbaren Materialien und Sekundärrohstoffen anstatt von Primärrohstoffen. Auf der Madaster-Plattform können alle Materialien eines Gebäudes registriert und so zur Wiederverwendung verfügbar gemacht werden. Datenindizes berechnen den zukünftigen Materialwert und das kreislaufwirtschaftliche Potenzial, die als Entscheidungsgrundlage für nachhaltigeres Bauen dienen.

Digitale Materialpässe
Digitale Materialpässe für Gebäude helfen in der Planungsphase bei einer nachhaltigen Materialisierung. In der Bau-, Bewirtschaftungs- und Rückbauphase ist eine Identifizierbarkeit und Nachverfolgung von Materialien, ihrem Zustand und Standort entscheidend für Lean Construction auf der Baustelle und die anschliessende zirkuläre Wartung. Ebenfalls können gebrauchte Materialien am Ende einer Nutzungsphase zu wettbewerbsfähigen Preisen, in der richtigen Menge und von einem nahe gelegenen Standort aus für eine Wiederverwendung verkauft werden. Das reduziert den CO2-Fussabdruck und ermöglicht attraktivere Return on Investment Rates.

Natürliche Ressourcen bevorzugen
Je weniger Primärressourcen in die Bautätigkeit fliessen, desto schneller können sich die Ökosysteme stabilisieren und regenerieren. Sand- und Kiesknappheit sowie die Volatilität der Rohstoffpreise zwingen zur Verwendung alternativer Rohstoffe. Baumaterialien aus Holz oder Hanf aber auch die Wiederverwendung von Bauabfällen weisen in eine neue Zukunft. Die Materialisierung in der Bauplanung spielt die entscheidende Rolle. In der Schweiz weist nicht zuletzt das am 01. Januar 2021 in Kraft tretende revidierte Bundesgesetz über das öffentliche Beschaffungswesen (BöB) neue Wege in Richtung mehr Zirkularität der Schweizer Bauwirtschaft.

Geschäftsmodelle neu denken
Auf die gleiche Weise, wie die fortschrittliche Informationstechnologie die Verfolgung von Materialien und Beständen einfacher macht, ermöglicht sie auch das gemeinsame Lernen und das Erarbeiten von Lösungen über Zusammenarbeit. Dies ist für die Kreislaufwirtschaft relevant, da im Austausch der Akteure entlang der Wertschöpfungskette neue Geschäftsmodelle entstehen können. Denkbar sind etwa Product-as-a-Service- Systeme oder der 2nd Hand-Verkauf von Materialien via Marktplätze.

Materialkreislauf schliessen
Um Materialkreisläufe nachhaltig zu schliessen, müssen alle Akteure in einem Arbeitsverbund effizient kooperieren und gemeinsame Standards nutzen. Der gezielte Austausch von Informationen mit Geschäftspartnern und Dienstleistern zu jeder Zeit und von jedem Ort aus bringt heute entscheidende Wettbewerbsvorteile. Über die Verknüpfung und Publikation digitaler Materialpässe können «Rohstofflager» von verbauten Materialien erzeugt werden und für eine Weiterverwendung nutzbar gemacht werden. Ein Bauobjekt hat damit schon zu Lebzeiten einen «Rohstoffwert». Über Rückbau und Wiederverwendung fliessen die Stoffe in den Kreislauf zurück.

Post-Covid-19 muss die Kreislaufwirtschaft zur neuen Normalität werden. In der Baubranche sind wir auf dem Weg dorthin. Dank der Digitalisierung sind konkrete Tools wie Madaster verfügbar. Unternehmen, die gemeinsam strategisch und nachhaltig denken und handeln, gestalten die Zukunft.

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