Renovation vs. Neubau: CO2-Emissionen als Einflussfaktor

Die Masterarbeit von Klaus Müller zeigt eindrücklich auf, weshalb «reuse» zunehmend wichtig wird. Die Arbeit untersucht inwiefern eine – heute noch fiktive – CO2-Lenkungsabgabe für Immobilienprojekte den Variantenentscheid Renovation vs. Neubau beeinflussen könnte.  

Bauherren sind bei der Wahl zwischen Ersatzneubau und Renovation häufig mit einem Widerspruch zwischen ökologischen Entscheidungsgrundlagen (Stichwort CO2-Bilanz) und ökonomischen Entscheidungsgrundlagen (Stichwort DCF-Immobilienbewertungen) konfrontiert. Klaus Müller zeigt in seiner Masterarbeit auf, wie die Gesamtheit aller CO2-Emissionen aus dem Lebenszyklus einer Immobilie auch ökonomisch berücksichtigt werden könnten. Dabei untersucht er anhand eines Fallbeispiels wie gross die zu erwartenden CO2-Emissionen eines Ersatzneubaus, einer Verdichtung mittels Aufstockung und einer reinen Sanierung ein und desselben Mehrfamilienhauses sein würden.

Seine Berechnungen basieren auf dem SIA-Lebenswegansatz und führen zu eindrücklichen Resultaten. Ein Ersatzneubau verursacht bezogen auf die Energiebezugsfläche rund 40% mehr CO2-Emissionen als die Variante Sanierung. Setzt man die CO2-Emissionen allerdings in Relation zur prognostizierten Bewohnerzahl ist im vorliegenden Fall die Variante Verdichtung die klimafreundlichste Wahl. Das Problem: Der prognostizierte immobilienwirtschaftliche Mehrwert einer Verdichtung oder einer Sanierung ist weit kleiner als der eines Neubaus. Weshalb? Die Ursache liegt in der Ausnutzungsreserve, die älteren Liegenschaften oft eigen sind. Diese lässt sich durch einen Ersatzneubau oft am effizientesten ausschöpfen. Kommt hinzu, dass ältere Gebäude weniger energieeffizient als Neubauten sind und folglich höhere Betriebskosten (Stichwort Energiekosten) verursachen.

Im Rahmen der Arbeit wurde auch geprüft, wie hoch eine Lenkungsabgabe auf die durch die Immobilie in den Bereichen Erstellung, Betrieb und Mobilität verursachten CO2-Emissionen angesetzt werden müsste, damit sich eine nach rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten agierende Eigentümerin für die Umsetzung der klimafreundlichsten Variante (Verdichtung) entscheidet. Im untersuchten Fall müsste dafür eine CO2-Steuer von 5'665.- CHF/t CO2 erhoben werden. Ob unter dieser Voraussetzung noch Investitionsbereitschaft besteht, ist zu bezweifeln. Insofern bleibt abzuwarten, ob politische Vorstösse, die auf eine bauliche CO2-Steuer abzielen, überhaupt reelle Chancen auf eine Umsetzung haben.

Die Arbeit zeigt weiter auf, dass die Verwendung eines CO2-angereicherten Betons beim Ersatzneubau die CO2-Emissionen, die in der Erstellung anfallen, lediglich um 3% verringert. Die Berechnungen legen eindrücklich dar, dass im vorliegenden Fall durch die Wiederverwendung der bestehenden Tragstruktur im Vergleich zum Einsatz eines CO2-angereicherten Betons beim Ersatzneubau die fünffache Menge an CO2-Emissionen vermieden werden kann. Der Wiederverwendung von bestehenden Tragstrukturen sollte im Rahmen des klimagerechten Bauens also grosse Aufmerksamkeit geschenkt werden.

  

Müller führt in seiner Literaturanalyse weitere spannende Punkte aus:

  • Netto-Null (entsprechend des Pariser Klimaabkommens) bezieht sich bloss auf die in der Schweiz verursachten Emissionen. Emissionen, welche von der Schweiz im Ausland verursacht werden (bspw. bei der Herstellung von importierten Baumaterialien) werden beim Netto-Null-Ziel nicht berücksichtigt. Dies gilt nicht umgekehrt. Denn die Schweiz kann im Inland verursachte Emissionen durch Projekte im Ausland kompensieren. 
  • In der langfristigen Klimastrategie des Bundes werden der Gebäude- und Industriesektor als wichtige Sektoren bei der Erreichung des Netto-Null-Ziels genannt. Die von der inländischen Industrie verursachten Emissionen sollen bis 2050 um 90% reduziert werden (Referenzwert 1990). Wichtig: Der Gebäudesektor schliesst den Betrieb des Gebäudes ein, der Industriesektor die Erstellung, Sanierung und Rückbau des Gebäudes. Dabei werden viele Materialien für den Bau vom Ausland importiert – diese werden durch das Netto-Null-Ziel der Schweiz folglich gar nicht tangiert. Sie fallen quasi durch die Maschen.  
  • In Bezug auf die CO2 Emissionen der Gebäudeerstellung (Bau, Rückbau, Entsorgung) gibt es keine direkten Vorschriften in der Schweiz. 
  • Müller zitiert eine Studie von Dinkel et al. (2021), die aufgezeigt hat, dass 59% der CO2-Emissionen von einem durchschnittlichen Schweizer Mehrfamilienhaus auf die Erstellungsphase entfällt (Mobilität ausgeschlossen). 
  • Knüsel et al. (2022) identifizieren vier Ansätze zur zielführenden Reduktion der baulichen Emissionen: 1) Lange Nutzungsdauer, 2) Effiziente Gebäude und Raumkonzepte, 3) Wiederverwendung Bauteile (trennbare Verbundsysteme), 4) Verwendung biobasierter Rohstoffe (z.B. Holz oder auch Stroh) und klimaoptimierte mineralische Baustoffe.

Sind Sie interessiert die gesamte Arbeit zu lesen? Schreiben Sie uns gerne eine Mail an info@circularhub.ch.

Klaus Müller hat seine Masterarbeit 2022 im Rahmen des Master of Advanced Studies in Real Estate an der Universität Zürich verfasst. Er arbeitet zurzeit als Projektleiter Immobilienentwicklung bei Losinger Marazzi.

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