Kreislauf statt Sackgasse

Unsere Wegwerfgesellschaft sollte längst ausgedient haben. Den zeitgemässen Gegenentwurf gäbe es nämlich schon: die Kreislaufwirtschaft. – Was genau darunter zu verstehen ist und welche Ansätze dafür auf Initiative der Stiftung Lebenswertes Liechtenstein aktuell verfolgt werden, erklären Marloes Fischer (MF) und Anja Bundschuh (AB) im folgenden Interview.

Was versteht man eigentlich unter einer Kreislaufwirtschaft?

MF: Im Kern geht es darum, ein System zu gestalten, in dem Ressourcen nicht weggeworfen, sondern so lange wie möglich, mit höchstmöglichem Wert, in Gebrauch gehalten werden. Eine Kreislaufwirtschaft entkoppelt die Wirtschaftstätigkeit vom Verbrauch endlicher Ressourcen. Um dies zu erreichen, unterstützen neue Businessmodelle, die sich mit dem Teilen, Reparieren und dem Angebot von Produkten als Service auseinandersetzen. Somit ist die Kreislaufwirtschaft ein widerstandsfähiges System, das sich darauf konzentriert, dass wertvolle Ressourcen nicht verloren gehen, was sich positiv auf Unternehmen, Menschen und die Umwelt auswirkt. Unterstützt wird Kreislaufwirtschaft durch den Übergang zu erneuerbaren Energien und Materialien.

Warum wird die Kreislaufwirtschaft für unsere Gesellschaft immer wichtiger oder gar unverzichtbar?

AB: Wir leben heute auf Kosten der Generation unserer Kinder und Kindeskinder. Bereits am 13. Mai hatten die Bewohner:innen der Schweiz ihr Ressourcenbudget für das ganze Jahr 2022 ausgeschöpft. In Liechtenstein war dies bereits am 8. Mai der Fall. Die Klimaänderung und die globalen Krisen verstärken diesen Effekt. Die aktuellen globalen Ereignisse drängen auf einen nachhaltigen Umschwung. In unserem derzeitigen Wirtschaftssystem entnehmen wir der Erde Materialien, stellen daraus Produkte her und werfen sie schliesslich als Abfall weg. Wir kaufen und nutzen Produkte, deren Veralten häufig geplant und Teil des Geschäftsmodells des Herstellers ist. Dieser Prozess hat vielen Menschen zwar Bequemlichkeit gebracht, heizt allerdings den Klimawandel an, zerstört die biologische Vielfalt und hat katastrophale Auswirkungen auf Gemeinschaften in aller Welt, die mit den Folgen von Abfall und Verschmutzung zu kämpfen haben.

MF: In einer Kreislaufwirtschaft verhindern wir, dass Abfall überhaupt erst entsteht. Wir kümmern uns dann nicht mehr nur darum, Abfall zu entsorgen, sondern die Wirtschaft designed Produkte auf eine Art und Weise, dass Materialien in mehreren Nutzungszyklen wiederverwendet werden. Eine Möglichkeit ist auch, dass wir nicht mehr für den Erwerb eines Produktes zahlen, sondern für die Leistung, die uns dieses Produkt bringt.

Sie arbeiten für die Schweizer Wissens- und Netzwerkplattform Circular Hub und haben bereits reichlich Projekterfahrung sammeln können. Was gilt es zu beachten, damit ein Projekt langfristig Erfolg hat?

AB: Wenn am Anfang nicht das Ende mitgedacht wird, bleibt der Erfolg aus. Wenn wir nur Abfallprodukte nehmen, ihre Verwendung neu überdenken und durch Innovation etwas Neues aus ihnen schaffen, bringt das zwar schnelle Erfolge und ist ein guter Start. Aber eigentlich gestalten wir so nur die Verschwendung, anstatt diese von Anfang an gar nicht erst zu designen.

Der Hersteller muss in der Vorgabe für ein neues Produkt klar sagen, dass die Materialien am Ende ihrer Nutzung wieder in die Wirtschaft zurückfliessen sollen. Viele Produkte könnten in Umlauf gebracht werden, indem sie gewartet, weitergegeben, wiederverwendet, repariert, aufgearbeitet oder wiederaufbereitet werden können. Lebensmittel und andere biologische Materialien, die unbedenklich in die Natur zurückgegeben werden können, können das Land regenerieren und die Produktion neuer Lebensmittel und Materialien ankurbeln.

Anja Bundschuh und Marloes Fischer, Foto: Julian Konrad

Auf Initiative der Stiftung Lebenswertes Liechtenstein soll unter anderem mit Ihrer Unterstützung und Expertise die Kreislaufwirtschaft in Liechtenstein Schwung aufnehmen und an Bedeutung gewinnen. Welche Schritte sind dafür in nächster Zeit geplant?

MF: Wir haben uns riesig gefreut, als wir mit der Stiftung die ersten Gespräche zum Thema Kreislaufwirtschaft führen durften. Statt vieler Worte folgte schnell die Tat in Form eines ersten Auslegeworkshop zum Thema «Ressourcen und Kreislaufwirtschaft in Liechtenstein», an dem ich teilnehmen durfte. Als Ergebnis standen konkrete Ansätze für das Land und Anregungen zum weiteren Vorgehen der Stiftung. Der Fokus der nächsten Schritte wird im Baubereich liegen, da hier der grösste Hebel zur Verringerung des enormen Abfallvolumens und Ressourcenverbrauchs identifiziert wurde.

Den Einbezug aller Stakeholder von Anbeginn und ihre Zusammenarbeit ist der Schlüsselfaktor für den Erfolg. Nur wer sieht, dass seine Bedürfnisse verstanden und Ideenbeiträge berücksichtigt werden, trägt eine neue Lösung mit und zu einer erfolgreichen Umsetzung bei.

AB: Wir werden daher in den kommenden Monaten mit Stakeholdern aus Industrie, Wissenschaft und der öffentlichen Hand zusammen eine Strategie erarbeiten. In zwei Workshops wollen wir inspirieren, den Weg gemeinsam zu gehen. Erarbeitet werden Antworten auf die Fragen  Was wollen wir erreichen? Welche zirkulären Projekte haben einen grossen Hebel? Was und wen braucht es dafür? Wie sieht der Weg dorthin aus? Dabei können wir auf der grossen Erfahrung aus bestehenden Initiativen aufbauen und neue Ideen generieren.

Im Vergleich zur Schweiz: Wie steht es aktuell um die Kreislaufwirtschaft in Liechtenstein?

AB: Liechtenstein hat viele Pilotprojekte in Sachen Nachhaltigkeit. So gibt es bereits einige Bauten, die Vorzeigecharakter besitzen, bei denen nachwachsende Rohstoffe wie Holz eingesetzt werden. Wenn bei diesem Holz bereits darüber nachgedacht wurde, was damit nach dem ersten Nutzungszyklus passiert, wäre das schon zirkulär gedacht. Konkret: Der mögliche Einsatz von Holzteilen in einem zweiten Nutzungszyklus wird leichter, wenn bereits bei der Herstellung für die erste Nutzung die Aufbereitung des Materials zwischen erstem und zweitem Zyklus mitgedacht wird.

In der Thematik Reparierbarkeit sammelt Liechtenstein mit den Angeboten der Repair Cafés in den Gemeinschaftszentren seit 2014 bereits Erfahrung und leistet damit einen wichtigen Beitrag für den Erhalt von bestehenden Ressourcen. Das ist vorausschauend, denn so wird das Bewusstsein in der Bevölkerung wachsen, achtsam mit den Dingen des täglichen Lebens umzugehen.

Eine richtige Kreislaufwirtschaft entsteht aber erst dann, wenn der Hersteller der Produkte diese so gestaltet, dass sie länger einsatzfähig oder sogar reparierbar sind und er sie nach einer gewissen Nutzungsphase wieder zurücknimmt, auffrischt und wieder zur Nutzung in den Markt bringt. So gesehen hat Liechtenstein noch grosses Potential in Richtung Kreislaufwirtschaft.

In der Schweiz existieren seit etwa 5 Jahren diverse Förderprogramme und Initiativen, welche Startups fördern, die Technologien, Produkte oder Dienstleistungen entwickeln, die Kreislaufwirtschaft ermöglichen. Es gibt dort daher schon viel Innovatives und einiges an Erfahrung bei der Umsetzung von zirkulären Geschäftsmodellen.

Abschliessend noch ein Blick in die Glaskugel: Was wird für uns Liechtensteiner:innen in Sachen Kreislaufwirtschaft in 5 bis 10 Jahren völlig selbstverständlich sein?

MF: Das Wort Abfall wird aus dem Wortschatz verschwunden sein. Die Liechtensteiner:innen haben eine grosse Wertschätzung für primäre und sekundäre Rohstoffe. Das Bewusstsein über deren Verbrauch ist im Alltag eingebettet und wirtschaftlich wird spar- und achtsam mit ihnen umgegangen. Zirkularität ist ein Standardbegriff, welchen jedes Unternehmen nutzt, um sein wirtschaftliches Handeln nachhaltig sicher zu stellen. Der Einsatz schnell nachwachsender Rohstoffe wird priorisiert, die Versorgungskette und ihre Resilienz sind sichergestellt. Der Einsatz fossiler Materialien im Bauwesen wird dokumentiert und eine Materialmine für die Zukunft geschaffen, aus der man sich für den Neu- und Umbau von Liegenschaften Ressourcen beschaffen kann

Zudem werden Private wie Unternehmen eine reelle Steuerabgabe auf Basis der verbrauchten Kilogramm CO2 zahlen statt die Arbeit zu versteuern. Jede Ausschreibung für neuen Wohn- und Gewerberaum hat zirkuläre Kriterien verankert. Wird ein Gebäude renoviert, erteilt das Amt für Bau und Infrastruktur die Umbaugenehmigung nur auf Nachweis, was verändert wird und was mit Bauelementen passiert, die freikommen. Liegenschaftseigentümer sind dafür verantwortlich, dass kein Material als Abfall in der Deponie oder Kehrrichtverwertungsanlage landet. Dazu hat jedes Gebäude in Liechtenstein einen Gebäudepass.

Dieses Interview wurde von der Stiftung Lebenswertes Liechtenstein publiziert.

Kontakt

Stiftung Lebenswertes Liechtenstein
Äulestrasse 56
9490 Vaduz
Liechtenstein
info@lebenswertesliechtenstein.li

Bildquelle:  Henrique Ferreira

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