Circular Economy in der Schweiz im Bau aus Unternehmensperspektive

Erst 10% der Unternehmen in der Schweiz wenden bisher zirkuläre Ansätze an. Eine repräsentative Studie der Berner Fachhochschule und Konjunkturforschungsstelle (KOF) der ETH Zürich zeigt nun, dass die Schweiz mit ihrer Innovationskraft grosses Potenzial hat für mehr Zirkularität in der Wirtschaft. Doch wie ordnen Akteure im Immobilienmarkt das Thema Kreislaufwirtschaft ein? Lesen Sie dazu den Gastbeitrag von Viviana Turrin, Daniel Steffen und Markus Schmidiger von der Hochschule Luzern.

Immobilien sind laut dem United Nations Environment Programme für einen Drittel der CO2-Emissionen, 40% des Energieverbrauchs und rund die Hälfte des Verbrauchs von natürlichen Ressourcen verantwortlich. Diese Zahlen zeigen die zentrale Rolle, welche die Immobilienindustrie für eine nachhaltige Zukunft spielt. In Anbetracht von schweizweit jährlich bis zu 4000 abgerissenen Gebäuden und einem Verschleiss von bis zu 80 Mio. Tonnen an Baustoffen gilt das Konzept der Kreislaufwirtschaft als besonders vielversprechender Ansatz für eine nachhaltigere Bau- und Immobilienbranche. Dieser Artikel geht den Fragen nach, inwiefern verschiedene Akteure im Immobilienmarkt die Kreislaufwirtschaft als Modeerscheinung oder als zukünftige Norm sehen und an welchen Hebeln für einen erfolgreichen Paradigmenwechsel angesetzt werden muss.

Die Immobilienbranche steht hinter einem Paradigmenwechsel

Als Basis dienen diesem Artikel die Ergebnisse einer quantitativen Umfrage im Rahmen einer Bachelorarbeit zu «Circular Economy in der Immobilienbranche: Status und Perspektiven». Akteure aus fünf Bereichen der Immobilienbranche (öffentliche Hand, Planung, Investoren, Bauun-ternehmen sowie Bewirtschafter) wurden zu Themen der Kreislaufwirtschaft befragt. Heraussticht, dass Akteure aus allen fünf Teilbereichen die Etablierung der Kreislaufwirtschaft in der Immobilien-branche als erstrebenswert ansehen. Im öffentlichen Bereich sind es 92 Prozent aller Befragten, in allen anderen Teilbereichen liegt der Anteil der Befürworter noch höher und kommt gesamthaft auf 98 Prozent. Angesicht dieser Unterstützung aus allen Bereichen fällt der Anteil der Teilnehmenden, welche davon ausgehen, dass die Kreislaufwirtschaft in der Immobilienbranche zur neuen Norm wird, mit 61 Prozent deutlich tiefer aus. Insbesondere sind die Teilnehmenden aus den Bauunter-nehmen geteilter Meinung. Die Hälfte geht davon aus, dass die Kreislaufwirtschaft zur neuen Norm wird. Ähnlich sieht es in den Bereichen Planung (57 Prozent) und Investoren (56 Prozent) aus. Etwas überzeugter von einer Durchsetzung sind die Bewirtschafter (67 Prozent) und insbesondere die VertreterInnen der öffentlichen Hand (92 Prozent).

Im Lichte der über alle Teilbereiche äusserst hohen Zustimmung, dass die Kreislaufwirtschaft erstrebenswert ist und der in den meisten Bereichen deutlich tieferen Überzeugung, dass sich die Kreislaufwirtschaft zur neuen Norm etablieren wird, stellt sich die Frage, wo die verschiedenen Akteure die Hürden für die Kreislaufwirtschaft sehen.

Geringes Bewusstsein in der Branche und Bedenken bei der Rentabilität sind wahrgenommene Hindernisse

Eine erste Hürde für die Etablierung der Kreislaufwirtschaft in der Immobilienbranche scheint für viele Akteure das tiefe Bewusstsein bezüglich der Notwendigkeit der Kreislaufwirtschaft zu sein. 69 Prozent der Teilnehmenden gaben über alle Teilbereiche hinweg an, dass sie das Bewusstsein in der Immobilienbranche, dass die Kreislaufwirtschaft notwendig ist, als gering oder eher gering einschätzen. Am deutlichsten fällt dieses Verdikt bei Teilnehmenden der öffentlichen Hand aus (85 Prozent). Aber auch in allen anderen Bereichen teilen jeweils mindestens zwei Drittel diese Meinung.

Um die Kreislaufwirtschaft ins Bewusstsein der betroffenen Akteure zu bringen, sehen die meisten Leuchtturmprojekte als das beste Mittel: 66 Prozent aller Befragten geben an, dass damit das Bewusstsein erhöht werden könnte. Insbesondere von Bewirtschaftern (82 Prozent), aber auch von Investoren (67 Prozent) wird dies als effektives Instrument angesehen. Ebenfalls als vielversprechend sehen 57 Prozent eine Anpassung des gesetzlichen Rahmens an. Als wichtigstes Instrument erachten dies die Befragten  der öffentlichen Hand (77 Prozent ), aus dem Bereich Planung (68 Prozent ) und von Bauunternehmen (64 Prozent).

«Es braucht einen Paradigmenwechsel im Denken, um eine abfall- und schadstofffreie Bauweise zu etablieren.»

Viviana Turrin, Bachelorabsolventin Hochschule Luzern

Darüber hinaus geben Akteure aus allen Teilbereichen Bedenken zu Rentabilität und Preisdruck als grösste Hürde an. Für 70 Prozent der Akteure aus Bauunternehmen und Bewirtschaftung stellt die Rentabilität die grösste Hürde dar, die Befragten aus den anderen Bereichen sehen das ähnlich. Die nötige Zeitspanne des Vorausplanens und die Informationsbeschaffung bei Altbauten wurde im Durchschnitt von der Hälfte der Teilnehmenden als grosse Hürden genannt. Am wenigsten oft werden von 26 Prozent aller Befragten erhöhte Lebenszykluskosten angegeben. Einzig Planer und Investoren sehen dies mit 36 Prozent bzw. 31 Prozent öfter als grosse Herausforderung.

Insgesamt sind alle Teilbereiche davon überzeugt, dass die Kreislaufwirtschaft für sie persönlich eher Vorteile als Nachteile mit sich bringen würde. Am skeptischsten sind bei dieser Frage wiederum die Bauunternehmen, wobei auch hier noch über drei Viertel davon überzeugt sind, dass die Vorteile zumindest überwiegen.

Gesellschaftlicher Druck als wichtigstes Mittel zur Förderung der Kreislaufwirtschaft

Neben dem Beitrag zur Nachhaltigkeit sehen alle Befragten vor allem zwei Chancen in der Einführung der Kreislaufwirtschaft: Einen Imagegewinn für die Branche (72 Prozent) und die Eröffnung neuer Geschäftsfelder (72 Prozent). Aspekte wie Kosteneinsparungen (27 Prozent) oder Chancen für Nutzende (38 Prozent) trafen auf weniger Zustimmung.

Mit welchen Instrumenten sollte die Kreislaufwirtschaft nun in der Schweiz gefördert werden? Auch hier sehen die Befragten zwei klare Ansatzpunkte: Gesellschaftlicher Druck (66 Prozent) und Nutzernachfrage (62 Prozent). Mit 92 Prozent Zustimmung scheint der gesellschaftliche Druck insbesondere bei der öffentlichen Hand als erfolgsversprechend angesehen zu werden, gefolgt von 67 Prozent im Bewirtschaftungs-, 65 Prozent im Investoren- und 57 Prozent im Baubereich. Einzig die Planer sehen die Nutzernachfrage als wichtigstes Mittel (68 Prozent). Als weniger wichtig werden Subventionen (34 Prozent mit stärkerer Zustimmung im Bau- (43 Prozent) und Bewirtschaftungsbereich (48 Prozent)), Antrieb der Nachfrage auf Entwicklerseite (35 Prozent) und Förderung des Wettbewerbs (35 Prozent) angesehen. Allerdings stimmt die öffentliche Hand mit jeweils 54 Prozent als einziger Bereich mehrheitlich zu, dass die letzten beiden Instrumente wichtige Hebel bei der Durchsetzung der Kreislaufwirtschaft wären.

Eine Erhöhung des Bewusstseins bezüglich der Vorteile und Notwendigkeit sowohl in der Immobilienbranche aber eben auch in der Gesellschaft wurden von den Befragten als zentral für eine Etablierung der Kreislaufwirtschaft eingeschätzt. Denn einerseits werden gesellschaftlicher Druck und Nutzernachfrage in allen Bereichen klar als wichtigste Mittel zur Förderung der Kreislaufwirtschaft angegeben. Andererseits wird in der Branche das Bewusstsein der Notwendigkeit grossmehrheitlich als gering angesehen. Dies, obwohl Befragte aus allen Bereichen fast geschlossen angeben, dass Kreislaufwirtschaft für sie erstrebenswert sei.

Die Förderung des Bewusstseins, dass Kreislaufwirtschaft ein zentraler Pfeiler der Nachhaltigkeit in der Immobilienbranche sein könnte und gemäss Umfrage auch in allen Bereichen eher als vorteilhaft gesehen wird, scheint also der Schlüssel zu sein, um sicherzustellen, dass auch in den Bereichen Bau, Investoren und Planung deutlich mehr als jeder zweite an einen Paradigmenwechsel glaubt. Nicht vergessen werden dürfen allerdings die Bedenken bezüglich Rentabilität, welche in der Branche als grösstes Risiko gelten.  

Dieser Artikel basiert auf den Resultaten der Bachelorarbeit «Circular Economy in der Immobilienbranche: Status und Perspektiven» von Viviana Turrin (Hochschule Luzern). In der Bachelorarbeit wurde neben Experteninterviews eine Umfrage mit professionellen Akteuren aus den Bereichen öffentliche Hand, Planung, Investoren, Bauunternehmen und Bewirtschaftung durchgeführt. Insgesamt nahmen 105 Akteure an der Umfrage teil.

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