1,5 Grad braucht Finanzierung zirkulärer Geschäftsmodelle

Bis heute landen noch über 91 Prozent der Materialien nach der ersten Nutzungsphase auf der Deponie. Der Finanzsektor hat grosses Potential, diese Zahl zu verringern. Die Chancen und Herausforderungen der Finanzierung von zirkulären Geschäftsmodellen haben wir zusammengetragen.

Kreislaufwirtschaft wird in der Zukunft für Unternehmen eine immer wichtigere Rolle spielen. Die Dringlichkeit für ein Umdenken in unserem Wirtschaftssystem machen nicht zuletzt die Environment, Social und Governance (ESG)-Kriterien deutlich. Regulierungen wie das Schweizer CO2-Gesetz oder die neue EU-Taxonomie, in der Kreislaufwirtschaft eines von sechs Zielen darstellt, sollen diese Transformation fördern.

Ziel einer Kreislaufwirtschaft ist es, dass Materialien möglichst lange mit höchstmöglichem Wert in Benutzung bleiben. Bis heute gelangen noch über 91 Prozent der Materialien nach der ersten Nutzungsphase nicht zurück in den Kreislauf.

Der Finanzsektor hat grosses Potential diese Zahl zu verringern. In seiner Rolle als „Ermöglicher“ kann er bestimmtes Verhalten gezielt fördern. Doch momentan tragen die 6,2 Billiarden Schweizer Franken, die in der Schweiz verwaltet werden, zu einer Erderwärmung von 4 bis 6 Grad Celcius bei. Damit schiessen sie weit am Ziel des Pariser Klimaabkommens von 1,5 Grad vorbei. 

Finanzierung zirkulärer Geschäftsmodelle
Ökologisches Handeln wird in der Regel mit erhöhten Kosten in Verbindung gebracht. Doch genau dort setzen zirkuläre Geschäftsmodelle an: Wirtschaftlich sein und dabei Umwelt und Gesellschaft mit einbeziehen. Wiederverwendung, langlebigere Produkte und veränderte Besitzstrukturen sind das Gebot der Stunde. Die Liste an Opportunitäten ist lang, allerdings ergeben sich auch viele Herausforderungen. Zirkuläre Geschäftsmodelle basieren auf bisher wenig vertrauten Ertragsstrukturen, bei denen Gewinne zeitlich an anderer Stelle als bei konventionellen Geschäftsmodellen auftauchen.

Unternehmen, die auf ein ‘Product-as-a-Service’ Modell setzen, stellen Kreditgeber vor spezielle Herausforderungen. Anders als bei herkömmlichen Ertragsstrukturen, bei denen für das Produkt ein einmaliger Preis bezahlt und es damit Eigentum des Käufers wird, wird hier der Nutzen als Dienstleistung verkauft und der Hersteller bleibt Eigentümer des Produkts.

In diesem Fall kann der Hersteller über einen längeren Zeitraum an einem Produkt verdienen und über gezielten Unterhalt und angereichertes Knowhow den Wertabfall vermeiden. Ein langfristiger Cashflow ist sicher gestellt, und es entstehen qualitativ hochwertige Produkte und langfristige Beziehungen mit Kund:innen.

«Es kann und muss Pionierarbeit geleistet werden, aber für einen flächendeckenden Wandel braucht es alle.»

Melanie Gajowski, Neue Geschäftsfelder und Kreditrisikomanagement, Mitglied der Geschäftsleitung der Alternativen Bank Schweiz

Aus einer linearen Wirtschaftsperspektive heraus betrachtet, bestehen kaum Anreize so zu handeln. Weil nur „geringe“ Nutzungsgebühren anfallen, ist der Umsatz kurzfristig kleiner. Die wirtschaftlichen Vorteile der Kreislaufwirtschaft liegen allerdings in der langfristigen Betrachtung. Für die Banken bedeutet das, die Wirkung entlang der gesamten Wertschöpfungsketten ganzheitlich zu betrachten, die zirkulären Prinzipien verstehen zu lernen und ihre Risikobeurteilungen neu auszurichten. Dabei müssen weitere Herausforderungen angegangen werden. Wenn der Hersteller als Eigentümer seiner Produkte verbleibt, verändern sich nicht nur die Ertragsstrukturen, sondern auch die Bilanzierung. Zudem sind auch aktuelle Versicherungsmodelle nicht auf Zirkularität ausgerichtet.

Um mit diesen neuen Faktoren umzugehen, fehlen oft noch die Kompetenzen. Die Stellschraube hierfür liegt also auch in der Ausbildung der Bankmitarbeitenden, damit sie ihre Kunden enkeltauglich beraten können.

‘Product-as-a-Service’-Modelle sind nur ein Beispiel von umgesetzter Kreislaufwirtschaft. Vor ähnlichen Herausforderungen bei der Finanzierung stehen auch zirkuläre Gebäude oder Geschäftsmodelle wie Buy-back. Denn bei Investitionsentscheidungen spielen Datengrundlagen eine grosse Rolle. Aber genau diese fehlen, denn die Umsetzung der Kreislaufwirtschaft steckt noch in den Kinderschuhen.

Anreize und Umsetzung
Ist die aktuelle Lage alternativlos? Nein. „Die Zutaten sind schon alle da. Wir müssen nur beginnen zu kochen“ sagt Melanie Gajowski, Mitglied der Geschäftsleitung der Alternativen Bank Schweiz, welche schon seit 30 Jahren konsequent ethisch und innovativ handelt. Banken könnten Kredite für zirkuläre Geschäftsmodelle mit niedrigeren Zinsen bepreisen, wie es schon heute oft für Häuser mit Minergie-Standard gemacht wird. Da die Zinsen aktuell niedrig sind, wäre eine deutliche höhere Verzinsung von Krediten, die die Ausbeutung von Ressourcen oder extreme Umweltverschmutzung finanzieren, eine - unattraktivere - Alternative.

Effektiver scheint das Ausschlussprinzip, mit dem die Alternative Bank Schweiz jetzt schon in anderen Bereichen, wie zum Beispiel Landwirtschaft oder Wohnen und Arbeiten arbeitet. Für eine zirkuläre Finanzwirtschaft würde das bedeuten, dass nur noch Geschäftsmodelle finanziert werden, die zirkuläre Prinzipien in ihre Ziele integriert haben. Dieser Punkt ist heute noch weit weg. Um dahin zu kommen, braucht es mehr Aufklärung von Kund:innen über Kreislaufwirtschaft und eine aktivere Kollaboration statt Konkurrenz zwischen den Finanzinstituten, so Gajowski. „Es kann und muss Pionierarbeit geleistet werden, aber für einen flächendeckenden Wandel braucht es alle“.
 

Dieser Text ist auf der Basis eines Konzeptpapiers von Circular Economy Switzerland, einem von Circular Hub durchgeführten Roundtable zum Thema Circular Finance und einem Interview mit Melanie Gajowski, Neue Geschäftsfelder und Kreditrisikomanagement und Mitglied der Geschäftsleitung der Alternativen Bank Schweiz entstanden.

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