Die Zukunft zirkulärer Dämmstoffe

Gewichtsmässig machen Dämmstoffe nur einen kleinen Teil der Bausubstanz aus. Bei ökologischen Betrachtungen werden sie deshalb fälschlicherweise oft vernachlässigt. Welches Potenzial Dämmstoffe für die Zirkularität der Baubranche haben, erklärt Maja Wiprächtiger, die an der ETH forscht, in diesem Gastbeitrag.

Dämmstoffe sind für einen beachtlichen Anteil der Treibhausgasemissionen (THG) im Bausektor verantwortlich, trotz der kleinen Menge (Heeren and Hellweg 2019). Recycelt werden Dämmstoffe zurzeit jedoch kaum. Heute anfallende Abfälle von erdölbasierten Dämmstoffen, die den grössten Anteil in der Schweiz ausmachen, können nicht recycelt werden, weil sie mit dem Flammschutzmittel Hexabromcyclododecan (HBCD) versetzt wurden (Brupbacher and Rubli 2016). HBCD wurde im Jahr 2015 zwar verboten, da die Dämmstoffe jedoch im Normalfall lange in den Gebäuden verbaut bleiben, fallen sie noch lange mit HBCD belastet beim Rückbau an. Weil erst seit den 1970er-Jahren standardmässig isoliert wird, gibt es zudem weniger Abfälle, als neues Material eingebaut wird. Laut Modellrechnungen wird erst um das Jahr 2055 gleichviel Dämmstoff ein- wie ausgebaut (Heeren and Hellweg 2018; Jakob et al. 2016). Erst durch diese Angleichung entsteht die Möglichkeit, den Kreislauf für diesen Baustoff zu schliessen.

ETH-Studie nimmt Wohnhäuser unter die Lupe
In einer Studie, die wir an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH) durchführten, untersuchten wir, wie Kreislaufschlüsse bei Dämmstoffen die negativen Auswirkungen auf die Umwelt reduzieren können (Wiprächtiger et al. 2020). Als Grundlage dienten die Wohnhäuser der gesamten Schweiz. Wir untersuchten, wie viel Material produziert, eingebaut, rückgebaut und entsorgt wurde. Das Resultat stellten wir anschliessend in einer Materialflussanalyse (Brunner and Rechberger 2010) dar. In der Studie betrachteten wir drei erdölbasierte (EPS, XPS, PUR), zwei mineralische (Steinwolle, Glaswolle) und einen biologischen (Holzfaser-)Dämmstoff. Zusammen machen sie 95 Prozent der aktuell verkauften und eingebauten Dämmstoffe aus. Nebst den Dämmstoffen wurden auch die für den Einbau verwendeten Kleber und der Verputz modelliert. Kleben ist die schnellste Einbauart, beim Rückbau ist es aber sehr aufwändig, die Kleber von den Dämmstoffen zu trennen. Deshalb werden diese Verunreinigungen heute zusammen mit den Dämmstoffen entsorgt.

«Dämmstoffe sollten so designt und produziert werden, dass sie frei von Schadstoffen und damit recycelbar sind.»

Maja Wiprächtiger, Researcher, ETH

Um herauszufinden, wie gross die Einwirkungen dieser Materialflüsse auf die Umwelt sind, führten wir eine modulare Ökobilanz durch (Hellweg and Milà i Canals 2014; Haupt et al. 2018). Wir berechneten ein «weiter wie bisher»-Szenario, sowie die folgenden drei Szenarien bis ins Jahr 2055:

• Hohe Recyclingraten: In diesem Szenario gehen wir davon aus, dass der Anteil an recycelbarem Material stark erhöht wird. Dies bedingt einerseits, dass das Flammschutzmittel aus dem Dämmstoff entfernt werden kann und andererseits, dass der Kleber vom Dämmmaterial separiert wird.
• Erneuerbare Materialien: Es werden keine erdölbasierten Materialien mehr eingesetzt. Diese werden mehrheitlich durch biobasierte, erneuerbare Materialien (Hanf, Holz, Cellulose) ersetzt. In diesem Szenario wird berücksichtigt, dass erdölbasierte Dämmung im Erdbereich nur durch Schaumglas ersetzt werden
kann.
• Kombiniertes Szenario: Dieses Szenario unterscheidet sich vom Szenario «Erneuerbare Materialien» dadurch, dass erdölbasierte Materialien zur Dämmung im Erdbereich eingesetzt werden, die jedoch analog zum Szenario «Hohe Recyclingraten» vermehrt recycelt werden.

Erdölbasierte Materialien durch erneuerbare, biologische ersetzen
Die Materialflussanalyse hat gezeigt, dass in der Schweiz heute nur 1.5 Prozent der Dämmstoffe im Kreislauf geführt werden. Gemäss der Ökobilanz ist die Herstellung der Dämmstoffe mit Abstand der emissionsintensivste Prozess. Danach folgt die Verbrennung, insbesondere die Verbrennung der Verunreinigungen, trotz Energierückgewinnung. Die Verbrennung ist heute jedoch notwendig, um das HBCD aus dem Kreislauf zu entfernen.
Würden weniger Dämmstoffe verbrannt und mehr recycelt, könnten im Jahr 2055 30 Prozent der CO2 Äquivalente eingespart werden. Dies zeigt der Vergleich des Szenarios «Hohe Recyclingraten» mit dem «weiter wie bisher»-Szenario. Um die dafür notwendige Recyclingrate zu erreichen, braucht es eine geeignete Rückwärtslogistik, einen Recyclingprozess zur Entfernung des HBCD und ein neues Design der Dämmstoffe. Diese sollten so designt und produziert werden, dass sie frei von Schadstoffen und damit recycelbar sind. Zudem sollte beim Einbau darauf geachtet werden, dass Dämmstoffe möglichst ohne Verunreinigungen rückgebaut werden können, zum Beispiel indem sie verschraubt statt verklebt werden.

Würden erdölbasierte Dämmstoffe durch erneuerbare, biologische Materialien und Schaumglas ersetzt, könnten im Jahr 2055 32 Prozent der CO2 Äquivalente eingespart werden. Die leicht geringeren Emissionen im Vergleich zum vorherigen Szenario beruhen vor allem auf den geringeren Umweltwirkungen in der Herstellung. Würden nun die beiden vorherigen Szenarien kombiniert, reduzieren sich die Umweltwirkungen in CO2-Äquivalenten im Jahr 2055 um 44 Prozent. Dies wäre somit das beste Szenario für die Umwelt. Aufgrund der Resultate ist es aus ökologischer Sicht das sinnvollste, erdölbasierte Materialien durch erneuerbare, biologische Materialien zu ersetzen. Mit der Ausnahme, dass für die Isolation unter der Erdoberfläche recycelbare, erdölbasierte Isolationen eingesetzt werden.

Recycling bedarf eines Umdenkens
Zurzeit ist das Recycling von Dämmstoffen schwierig. Dies hat neben den technischen Herausforderungen von Verunreinigungen durch Flammschutzmittel, Kleber oder Verputz auch logistische und ökonomische Gründe. Das Recycling würde sich ökologisch jedoch lohnen. Dämmstoffe sollten folglich so designt werden, dass sie frei von gefährlichen Substanzen sowie einfach und schnell ein- und rückbaubar sind. Diese Eigenschaften sollten bereits während des Designs der Dämmstoffe berücksichtigt werden.


Kontakt
Maja Wiprächtiger, Doktorandin, ETH Zürich, Institut für Umweltingenieurswissenschaften,
wipraechtiger@ifu.baug.ethz.ch
 

Referenzen
Brunner, P. and H. Rechberger. 2010. Methodology of MFA. In Practical Handbook of Material Flow Analysis

Brupbacher, A. and S. Rubli. 2016. Entsorgungssituation von Dämmmaterialien in der Schweiz. Bern.

Haupt, M., T. Kägi, and S. Hellweg. 2018. Modular life cycle assessment of municipal solid waste management. Waste Management.

Heeren, N. and S. Hellweg. 2018. Tracking Construction Material over Space and Time: Prospective and Geo‐referenced Modeling of Building Stocks and Construction Material Flows. Journal of Industrial Ecology 0(0).

Heeren, N. and S. Hellweg. 2019. Tracking Construction Material over Space and Time: Prospective and Geo-referenced Modeling of Building Stocks and Construction Material Flows. Journal of Industrial Ecology.

Hellweg, S. and L. Milà i Canals. 2014. Emerging approaches, challenges and opportunities in life cycle assessment. Science 344(6188): 1109–1113.

Jakob, M., S. Rubli, and B. Sunarjo. 2016. Dämmmaterialien im Gebäudepark der Schweiz - Eine Bestandesaufnahme. Zürich.

Wiprächtiger, M., M. Haupt, N. Heeren, E. Waser, and S. Hellweg. 2020. A framework for sustainable and circular system design: Development and application on thermal insulation materials. Resources, Conservation and Recycling 154: 104631.

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